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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 37.1926

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Krasnopolski, Paul: Wie das Barock sich einrichtete, [1]: das Leben vor zweihundert Jahren
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https://doi.org/10.11588/diglit.10704#0158

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WIE DAS BAROCK SICH EINRICHTETE

DAS LEBEN VOR ZWEIHUNDERT JAHREN

Wenn ein »Festessen« der gesellschaftliche Aus-
gleich von Forderungen der Höflichkeit ist, dann
hatten um 1700 die Gläubiger der Gastlichkeit die besten
Aussichten auf Befriedigung. Man brauchte nicht gleich
an den fettesten Konkurs der Speisen, an ein vornehmes
Hochzeitsmahl, zu denken, wo man nach dem Motto:
» Gute Dinge wollen Weile haben«, zwei Tage beisammen
blieb und der Küchenzettel zum gastronomischen Epos
wurde. Ein gewaltiger Kampf der Magen und Gänge
erhob sich, ein Schlachten war es vorher, dann eine
Schlacht zu nennen, in der mit Messer und Gabel gegen
zwanzig leckere Gerichte am ersten und gegen drei-
undzwanzig am folgenden Tag gefochten wurde. Als
gemein, weil nur eintägig, galt daher die Festlichkeit, in
der es bloß fünfzehn Haupt- und Nebenschüsseln gab. .



Auch die »Gastereyen« unter besseren Leuten
konnten sich sehen und wohl auch hören lassen. Da
kamen sie in der Wohnung des Gastgebers zusammen;
die Damen in bunten Seidenkleidern, in knapper Taille
mit dem andersfarbigen Vorstecker, dem schleppenden,
vorne zurückgeschlagenen Manteau mit dem großen
Bausch, dem »Cul«, rückwärts über dem faltigen, die
Hüften stark betonenden Unterkleid, das mit Silber-
stickerei und Goldfranzen geputzt war. Auf dem Kopfe
die hohe »Fontange« aus Eisendraht mit Musselinstreifen
oder Bändern. Die Herren im eng anliegenden »Just-
au-corps«, dem mit Goldtressen besetzten Uberrock,
dessenArmel in weiten Manschettenendigten, mit Spitzen-
krawatte und Allonge-Perrücke. Weiße Strümpfe, Halb-
stiefel mit roten Absätzen, ein dreieckiger Hut mit Feder-
schmuck, ein Degen vervollständigten ihre Toilette.

An der »Tafel« nahmen sie dann Platz. Lichter
brannten auf dem Tische, tief sollte das Tuch von ihm
herabhängen, und die Mode wollte, daß man auf die vier
Ecken ebensoviele Tafelringe zwischen vier gegabelte
Salzfässer setzte. Auf diese und die Tafelkränze gab
man mit Zahnstochern bedeckte Zuckerstengel. Jeder
Gast hatte sein Besteck und Brot. Nach jedem Gange
mußte der Speissmeister die Teller, nach zwei die Ser-
vietten wechseln, und die Teller sollten so hohl sein, daß
man Suppe auf ihnen präsentieren konnte, damit man
nicht nötig habe, mit dem Löffel aus der Schüsse) zu essen.
»Dieweil solches manchem einen Eckel gibt, weil man
den Löffel, so man aus dem Munde gezogen, unabge-
waschen in die Schüssel dunckt«, erklärte ein Knigge
des Barock, und sein guter Ton in allen Lebensgelagen
wünschte auch, daß das Anbieten von rechts geschähe
und eine eigene Person für das Getränke sorge, während
das Abräumen vom unteren Ende der Tafel her erfolgen
sollte. Hernach wurde am oberen »zu waschen präsen-
tiret«, das Lavor mit Wasser und die Handrollen herum-
gereicht, die auf einem Nebentischlein ihren Platz gehabt.

Inzwischen war es Nachmittag geworden, und im
Nachgefühl des hohen Tafelglückes genossen die Gäste
jetzt den Augenblick der Erinnerung an vierundzwanzig
Gänge, da Strenges mit dem Zarten, wo Starkes sich
und Mildes gepaart, Geflügel mit Braten, Fisch und Ge-
müse, Pasteten mit »Tarten«, eingemachten Früchten
und Zuckerwerk. Der Kundige, der keinen Rausch be-
kommen wollte, der hatte eine viertel Stunde vor Beginn

des Mahles rasch drei Pfirsichkerne mit ein wenig Baum-
öl zu sich genommen, dem Trunkenen aber flößte man
einige gebackene Küchlein mit Honig oder eine tüchtige
Portion Essig ein und machte so den »vollen Zapffen
wiederum nüchtern«. Dann empfahlen sich die Gäste,
auch die Tätigkeit des »Tranchierers« hatte für diesmal
ein Ende, des Chirurgen der Tafel, der mit einem Besteck
von fünfzehn Instrumenten das Vorschneiden besorgt.
Es war keine leichte Kunst, die er nach strengen Regeln
betrieb, und an acht hölzernen Modellen solange üben
mußte, bis er die verschiedenen Ober-, Unter-, Kreuz-,
Quer- und Contraschnitte beherrschte und die Gabel
richtig zu »improchiren« verstand. Und selbst den er-
fahrenen Meister in diesem Fache, der die Speisen in
der Luft zerlegte, »welches das rühmlichste ist«, selbst
den mochte ein leises Kerzenfieber packen, wenn er nach
ehrerbietiger Begrüßung der Gäste und Niederlegung von
Gabel und Messer in Kreuzesform an die Trepanation
eines Schweinskopfes ging. Mit Zutun einer Seryiette
begann er da, achtzehn Schnitte mußte er führen, die
»unflätigen Oerter« der Schwarte entfernen, und erst
dann konnte er nach schmackhaftem Gesetz dem Vor-
nehmsten das beste Stück zuteilen. Dieses Klassen-Be-
wußtsein gab das Barock nur bei einer bekannten und
»gleichen Compagnie« preis: hier sollten alle nach Mög-
lichkeit das Gleiche bekommen. »Ein Mann einen Vogel«,
verlangte die Demokratie des Essens.

Die Gastgeber begannen allmählich über den Zu-
sammenhang von Kost und Kosten zahlenmäßig nachzu-
denken und fanden dabei vielleicht, daß in ihrer Rech-
nung mit den Bekannten, die sich eben aufgelöst, allzu-
viel aufgegangen war, als daß Stimmung von Stimmen
hätte herkommen können. Nur beim Fleisch waren sie
vor Überraschungen sicher: dieser Posten wurde mit
dem dritten Teil des Aufwandes für die ganze Gasterey
veranschlagt. Die einzige Regel des Küchen-Einmal-Eins,
die keine Ausnahme zuließ. . Die Hausfrau schickte die
Mägde in den Saal, den Schauplatz ihres kulinarischen
Sieges, der für kurze Zeit auch zur Niederlage des Essens
geworden, ließ den Fußboden säubern, der aus Marmor
oder wenigstens mit gebackenen Steinen belegt und
zierlich mit Farben angestrichen war, zur Winterszeit
das Feuer im Kamin ausgehen. Denn daß in einen Saal
kein Ofen gehörte, das wußte jeder, der seine Wohnung
modern eingerichtet hatte. Die Lichter in den Wand-
leuchtern aus Silber oder Messing wurden gelöscht. . .

*

Nun erblindeten die Spiegel an den Wänden, Dunkel
saugte die Farben aus den Bildern über den wirklichen
oder gemalten Tapeten, und wie ein blasses Echo der
weißen Tischtücher schimmerte noch die Decke, die mit
Stuccador-Arbeit aus zierlichen, geometrisch angeord-
neten Füllungen überzogen war, und in deren mittleren
zuweilen ein Gemälde gleich einem bunten Kranz auf
dem Schnee des Gipses lag. Die Mutter schaute viel-
leicht noch in die Kinderstube, überzeugte sich, daß die
Mägde auf ihrem Posten, die Lauffbanck nicht fehlte, in
der die Kleinen gehen lernten, ihr Nachtstühlein und
Wickeltisch, das zinnerne Waschbecken, Schwämme,
Kämme, Bürsten sich in Ordnung befanden, »daß sie
nicht in Unflat verderben«. In seinem Waltzenbettlein
 
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