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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 37.1926

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Breuer, Robert: Die Platte als Ornament und Ausdruck: Bemerkungen über Funktion und Dekoration
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https://doi.org/10.11588/diglit.10704#0218

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DIE PLATTE ALS ORNAMENT UND AUSDRUCK

bemerkungen über funktion uno dekoration

Der Kampf gegen das wildwuchernde Ornament ist
bereits Geschichte geworden und hat bei der zivi-
lisierten Architektur ohne Zweifel Erfolge aufzuweisen.
Nur Subalterne verwenden heute noch das Ornament
willkürlich oder zur Verdeckung fauler und unklarer
Stellen. Darüber braucht man kein Wort mehr zu ver-
lieren. . Aber übers Ziel schießt die Auffassung, daß
das Ornament grundsätzlich zu verwerfen sei, und daß,
wie einige Neuere behaupten, »Funktion und Dekoration
einander diametral gegenüber stehen«. Eine Muschel
über einem Fenster der Renaissance, die machtvoll rol-
lende Volute als Ausklang der Kraftkurve eines Barock-
Giebels, das figürliche Geriesel, das den gotischen Bau
überspannt: sind das Gegensätze zwischen Dekoration
und Funktion? Ist in all diesen Fällen nicht vielmehr
die Dekoration, das figürliche oder geometrische Orna-
ment, eine Steigerung des Funktionellen, ein Be-
standteil des architektonischen Grundgedankens? ....

Es liegt nahe, hier auf die berühmten »Platten« der
neuesten Architektur hinzuweisen; diese Platten stoßen
aus der Mauer heraus, sie tun dies über einer Tür, über
den Fenstern, sie tun dies zuweilen aber auch an Stellen,
wo selbst beim stärksten Regen nichts zu schützen ist.
Sie unterbrechen den vertikalen Drang und steigern ihn
durch solche Unterbrechung; sie sind also offenbar eine
Dekoration, die der Funktion nicht diametral gegenüber-
steht, die sie vielmehr wie jedes gute Ornament fördert
und sichtbar machen hilft. Dabei wird es wohl sein Be-
wenden haben müssen. Das Betonen der Fenster und
Türen, des Sockels und der Gesimse kann um einer
Doktrin willen nicht aas der Welt geschafft werden.
Wer die Bauten der jüngsten Schulen daraufhin prüft,
wird solche Unsterblichkeit der Funktions-Verdeutlich-
ung sofort feststellen können. Auch diese Jüngsten unter-
streichen durch eine Linie, durch ein Profil, durch eine
Platte die Aufteilung des Blocks. Sie hören nicht gern
vom Ornament, aber sie können es doch nicht ganz ent-
behren ; sie übersehen, daß eben auch eine Platte Orna-
ment und Ausdruckshelfer sein kann. Sie brauchen diese
Platten nur einmal fortzunehmen, um festzustellen, daß
an der Brauchbarkeit des Hauses nicht das Geringste
geändert wird, daß aber der Ausdruck erheblich an Ge-
schlossenheit, an Charakter und Rhythmus und vor allem
an dem, was sie so sehr lieben, leidet, an der Bewegung,

an dem Uberfließen des Innen ins Außen........

Hierher gehört auch das »Umklammern«, das unsere
Jüngsten gern anwenden. Die Platten greifen oft um die
Ecke herum; ist das irgend etwas anderes als der Aus-
druck des Zusammenhaltens und Zusammenpressens?
Nicht nur Platten tun es, ganze Wände und Hausteile
unterstützen bei den Bauten dieser Richtung das In-
einanderfassen und Zusammendrängen der Räume. Es
ist gewiß zu loben, wenn eine Architektur des ragenden
Giebels, hinter dem kein Raum sich befindet, entbehren
kann oder der Säule, die nichts trägt. Aber sie darf
dennoch nicht mit Verachtung auf Ornament und Aus-
druck herabblicken, wenn sie, mit gutem Recht, des ab-
geflachten Vorsprungs, der Platte, benötigt, um den
Rhythmus des Baukörpers zu steigern und um die Massen
auszubalanzieren. Sie darf ferner nicht übersehen, daß
solches Ausbalanzieren des bewegten Baukörpers auch

eine Art Suchen nach Symmetrie ist; nicht gerade die
übliche achsiale Symmetrie der klassischen Stile, aber
dennoch die Äußerung eines ästhetischen Dranges,
eines Dranges nach Form und nach schöner Gestaltung.

Daran ändert gar nichts, daß die Theorie dieser
jüngsten Architektenschule die Form haßt und verwirft.
Etwa so: »Die Grundlage einer gesunden Entwicklung
der Architektur (und der Kunst überhaupt) besteht in
der Uberwindung der Illusion und der vollständigen Über-
windung des Begriffes »Form«. Unter dem Begriff
»Form« ist zu verstehen: eineindividuelle Abgeschlossen-
heit, welche nur zu sich selbst in Beziehung zu bringen
ist«. . Unter dem Begriff Mensch ist zu verstehen eine
Abgeschlossenheit, welche nur zu sich selbst in Be-
ziehung zu bringen ist. Wer will das leugnen ? Wer aber
wird gleichzeitig verkennen, daß dieser Mensch trotz
seiner Abgeschlossenheit nur ein Molekül im Weltganzen,
nur eine Ziffer der Statistik, nur ein Bestandteil seines
Volkes und seiner Rasse ist? Mit der Form, mit dem
Haus, dem Stuhl, dem Gefäß, ist es nicht anders. Über-
windung der Form heißt Formlosigkeit, heißt Chaos,
heißt Stoff. Ein Haus aber ohne Form zu denken, ist
theoretische Willkür. Gemeint ist wohl etwas anderes.
Man ist verärgert durch die »Willkür« der Formgebung.
Man kann auch zustimmen, wenn ihre Lehre bedeuten
soll, daß der Architekt sich nicht ein Äußeres zusammen-
phantasieren darf, um dazu dann den Grundriß zu erfinden,
daß er vielmehr nach den Bedürfnissen des Bauherrn, des
Einzelnen, der Klasse und des Volkes den Grundriß
schaffen und um solches Gerüst die Außenwände wie eine
Haut legen soll. Was dann entsteht, ist eine Form.
Eine schlechte oder eine gute, — unter allen Umständen
aber abhängig von der Fähigkeit dessen, der den Grund-
riß machte. Doch ist auch damit noch nicht das Letzte
gesagt. Gilt es, Reihenhäuser zu bauen, so ist der Will-
kür des Grundrisses nach einer Seite hin, nämlich zur
Straßenfront, eine feste Grenze gezogen. Es ist kein Zu-
fall, daß die modernen Theoretiker der Formlosigkeit sich
zumeist am freistehenden Einzelhaus üben. Aber auch
da sind sie begrenzt und nicht zuletzt durch sich selbst.

*

Es ist eine für künstlerisches Empfinden unverständ-
liche Selbsttäuschung, daß die Jungen glauben, die
Häuser, die sie nach ihren neuesten Theorien hinstellen,
seien wirklich nur das Ergebnis von Rechnung und
Zweckmäßigkeit, von Technik und Material, von einer
Theorie, die gern alles anders machen möchte, als es
früher gemacht worden ist. Glücklicherweise ist dem nicht
so. In all diesen Häusern lebt der stärkere oder schwächere
Wille dessen, der sie schuf; sie alle sind ein Ausdruck
der Persönlichkeit des Erbauers, der, ob er sich noch
so sehr dagegen sträubt, den Formen-Reichtum der Welt
vermehrte. Es ist darum nicht verwunderlich, daß einer
der meistgenannten Theoretiker der jüngsten Architektur,
Le Corbusier, zum Wesentlichen dieses zu sagen hat:
»Die Architektur hat eine andere Bedeutung und andere
Aufgaben als die, Konstruktionen zu zeigen und Zwecke
zu erfüllen. Architektur, das ist Kunst im höchsten
Sinne, mathematische Ordnung, Spekulation, vollendete
Harmonie durch die Proportionalität aller Beziehungen:
das ist der »Zweck« der Architektur«, robert breueb.
 
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