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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 37.1926

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Schiebelhuth, Hans: Nordische und südliche Kulturlandschaft: das Verhältnis zwischen Mensch und Natur
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Klages, Ludwig: Erleben und Intuition
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https://doi.org/10.11588/diglit.10704#0352

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NORDISCHE UND SÜDLICHE KULTURLANDSCHAFT

das verhältnis zwischen mensch und natur

rundprinzip aller südlichen Baugesinnung ist die
X Unterordnung der Landschaft unter den architek-
tonischen Gedanken; innerer Verhalt der nordischen
Kulturlandschaft ist das kontrapunktische Zueineinander-
stimmen der Natur mit den Verformungen des mensch-
lichen Gestaltwillens. Der klassische Lebenssinn hat die
Natur als einen einstigen Feind unterjocht, dienstbar ge-
macht und einbezogen; der nordische Lebenssinn achtet
die Natur nicht nur als Feind sondern als eine im tiefsten
unbezähmbare, aber in ihren Auswirkungen oftmals gütige
Macht, die er einrichtet und zudämmt, mit der er unter
Angleichen sich versöhnt, so daß Mensch und Schöpfung
sich wie Ich und Du als Gleichrangige begegnen und
die gestaltete Natur reinhin Freund und Nachbar wird.



Das sinnfälligste Beispiel für diese beiden Arten die
Natur zu behandeln (d. h. zu erleben), bietet wohl die
Gartenbaukunst in dem Gegensatz zwischen dem rein
stilistisch gehaltenen, formal strengen lateinischen Garten
mit geraden, beschnittenen Hecken und getrimmten Bäu-
men einerseits und andererseits dem englischen Land-
schaftspark in seiner offenen Form, der die melodische
Gelöstheit der Anordnung will und dem gehegten Wuchs
die Freiheit der Selbstbestimmung in hohem Maße beläßt.
Psychologisch am leichtesten lesbar wird der Gegensatz
vielleicht im Charakter der Verkehrswege. Die römi-
sche Heerstraße bezwingt wie ein ehernes Gesetz unaus-
weichlich die Erde, sie zeigt an, daß der Mensch über
der Natur steht. Die cisalpinische Landstraße aber hat
am Wesen der Erde Anteil, sie hat ganz und gar nichts
von der Starrheit und Nüchternheit eines Gesetzes, sie
zeigt an, daß der Mensch als Glied in der Natur steht.



Noch deutungsreicher wird für uns vielleicht das Beispiel
und Gegenbeispiel der einfachsten Siedlungs-Anlage.
Die steinerne Piazza oder Piazetta eines italienischen
Weilers stellt unser Auge auf das rein Menschliche, das
einsinnig Bauliche, das schlechtweg Architektonische ein,
das, was das entscheidende Erlebnis des^Südens bedeutet,
während der deutsche Dorfplatz mit der mächtigen alten
Brunnenlinde doch etwas ewig Süßes und Trautes hat, ja
eitel Poesie heißen muß, weil er soviel geschöpfliches
Element einbezieht, weil er das rauschhafte Wesen der
Natur und die Nüchternheit der Architektur miteinander
zu befreunden und zu verfrieden weiß. Die bezähmte und
geordnete Natur mit ihren webenden Auen, gelichtetem
Baumstand und gehegten Gärten, mit ihrer in rhythmische
Felderflächen eingeteilten Ackerflur mit Weideland, Wein-
hang und Wiesengrund, mit den wohlbeforsteten Wäldern
liefert in der nordischen Kulturlandschaft den Rahmen,
den Um-, Unter- und Überbau für das reine Gebild der
Menschenhand, für die nur architektonische Gestalt,
die immer als gefestigter Wert besteht, mit Einzelhaus,
Gehöfte, Weiler, Dorf und Stadt. Aber innerhalb des Ge-
samtbildes bleibt die Natur immer gleichwertiger Wider-
part, sie wird durch die Baugesinnung nicht unterjocht,
dem Menschenwillen Untertan gemacht, sondern sie be-
hält immer ein gestautes Maß an Freiheit und Eigenrecht;
die wachstümlichen Mächte und die bautümlichen
sind miteinander verschwistert und verworren. (»Ver-

worren« ist bezeichnender Weise das Lieblingswort
des größten deutschen Landschaftsdichters: Eichendorff.)
Dieser bewußte und gepflegte Gegensatz erweist sich
für die Anmut und für den Liebreiz des Gesamtbildes
außerordentlich fruchtbar und fördernd; es ist stets an-
regend zu erleben, wie hier eine Macht den Anspruch
der anderen zu bestimmen, zu bestätigen und zu erhöhen
trachtet, wie sich aus den beiden Komponenten eine un-
trünnige Einheit ergibt, eine kontrapunktische Harmonie.
Die Flur schläft nicht ein vor den Mauern unserer Städte,
die Natur wird nicht ausgeschlossen aus dem dröhnenden
Steinmeer, nein, sie reicht herein, sie dringt über, sie
versöhnt sich mit dem mächtigen Menschengebilde, sie
ruft es hinaus. Zauberhaft, wie sich die letzten Häuser
unserer modernen Städte ins Gelände verlieren, sich in
die Freude und an die Freundschaft der Auen hingeben
unter den Blättern hochbewimpelter Bäume; ebenso zau-
berhaft, wie der Wuchs in prächtigen Alleen aus dem
Weichbild in das Straßenbild der Stadt hineinreitet, wie
uns ein Rausch von pflanzlichem Grün und farbiger Blust
in die Mauern begleitet, an ragenden Mauern hinauf-
wächst als Schling- und Kletterpflanze, an Fenstern
lacht in Töpfen und bunten Blumenkästen, ja im Hause
noch Platz findet in Wintergärten und Blumenerkern.

*

Überall nördlich der Alpen deutet das Antlitz der
Erde den typischsten Wesenszug seiner Bewohner aus:
Natursinn, Liebe zum Wesen, eine Eigenschaft, die dem
Leben ein feierlich heiteres Gepräge zu geben vermag.
Die Zeiten der Naturverschollenheit, in denen der Mensch
mit dem mächtigen Gegner auf Schritt und Tritt ringen und
gegen die geschöpfliche Überwucherung auf der Hut sein
mußte, sind für Europa längst überwunden. Wir haben zwei
Typen der Kulturlandschaft: die südliche, die die Herr-
schaft des Menschen über die Natur dartut, und die nor-
dische, die — weit von gefährlicher Naturentfremdung,
ebensoweit von klassischer Natur-Uberwindung — liebend
die heilige Urfehde und die ewige Eintracht von Mensch
und Welt zu gestalten versucht. . . . hans schiebelhuth

»ERLEBEN« UND »INTUITION«

Das Wesen des Erlebens ist ein Versinken, ein Ein-
und Untertauchen, eine Aufhebung des Ich-Ge-
fühls, ein Bewußtloses . . Takt ist die Erscheinung der
»Regel«, das heißt in vollkommener Form: Bewegungs-
Mechanismus, — nicht aber »Rhythmus«. Takt be-
deutet: Grenzsetzung durch den Geist, — Rhythmus
jedoch ist etwas Grenzenloses. Takt weckt und erhält
wach, erhält »bei Bewußtsein«, — Rhythmus dagegen
schwingt, schläfert ein. Während der Takt ein tätiges
Prinzip ist, kann der Rhythmus nur erlitten werden. Der
Rhythmus ist nicht Ausdruck der Affekte, sondern des
rhythmisch angelegten Lebens selbst, der Seele. . l. klages.

*

Dies ist »Intuition«: wir müssen uns in das Ding
»verwandeln«, wenn wir seinen Sinn wissen
wollen. Indem wir eindringen, lebt die Gestalt. Wir
müssen uns opfern können, um dort zu sein, wo Sein und
Bedeutung ein und dasselbe sind.....Rudolf kassner.
 
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