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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 38.1927

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Michel, Wilhelm: Vom neuen Bauen und neuen Wohnen: das Bekenntnis zum Leben der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.10702#0023

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XXXVlll. JAHRG.

DARMSTADT.

JANUAR 1927.

VOM NEUEN BAUEN UND NEUEN WOHNEN

DAS BEKENNTNIS ZUM LEBEN DER GEGENWART

Geht der Blick rückwärts in die Geschichte des
Bauens, so zeigt sich das Bauwerk immer in
einer untrüglichen, gesetzmäßigen Beziehung zum
Geist der zugehörigen Epoche. Nicht nur die echten
Neuformen einer jeden Zeit, sondern gerade auch
die großen und kleinen »Renaissancen« historischer
Formgesinnungen erweisen ihre »physiognomische«
Bedeutung: der Schluß vom Bauen einer Zeit auf
ihr inneres Wesen führt regelmäßig zu richtigen,
weittragenden Ergebnissen. . Umgekehrt werden
wir heute zu Zuschauern eines Prozesses, dessen
Sinn der Durchbruch eines neuen Geistes in der
Baukunst ist. Wir erleben eine neue bauliche Phy-
siognomie-Bildung. Wir sehen den Geist unserer
Epoche am Werk, sich ein ihm zugehöriges Archi-
tektur-Gesicht zu schaffen. Ein neues Raumgefühl,
eine neue »Wohngesinnung« treten hervor: kubisch
und geometrisch-präzis das eine, frei, stark, unro-
mantisch die andre; beide aber gleich wichtig als
Ausdrucksformen eines Geistes, an dem wir alle
schon längst insgeheim teilhaben. Das ist in der Tat
das Bedeutsame: nicht ein neuer Geist ist es, der
sich nun der Formung unsrer Wohnräume bemäch-
tigt, sondern unser Geist, unsre schon beste-
hende Gesinnung tritt in eine neue Phase ihrer Sicht-

1927. I. 1.

barwerdung ein. Hier verwirklicht sich nur, was der
Anlage nach seit langem in uns selber vorgebildet ist.
Für den neuen Wohnbau treten sowohl wirtschaft-
liche und soziale als technische und geistige Zwänge
ein: wir müssen so bauen, wir können so bauen,
wir wollen so bauen! Selbst wenn die Zwänge der
wirtschaftlich-technischen Ordnung nicht so unaus-
weichlich und gebieterisch wären, wie sie es sind:
wohin sich retten vor der unzweifelhaften geistigen
Entwurzelung alles überkommenen Formenwerks?
Wie dem Konflikt entgehen, daß wir überall schon
in eine freiere, unmittelbarere und beweglichere,
ja in gewissem Sinn »sportlichere« Lebensordnung
hineingestellt sind und doch fortfahren, in Häusern
und Räumen zu wohnen, die von ihr nichts ahnen?
So ist der Sinn des neuen Bauens, der Sinn der
neuen Wohnungs-Gestaltung, daß Haus und Raum
sich zum Menschen bekennt: zum seienden,
wirklichen Menschen dieser Tage, der gerade auch
in seinen geistigeren Exemplaren nicht mehr retro-
spektiv gestimmt ist, sondern unmittelbar, Gegen-
wart-erfüllt im Leben steht, Auge in Auge mit der
Wirklichkeit, nicht mit der Gesinnung des »Einst
und Irgendwo«, sondern des entschiedenen und
entschlossenen »Heute und Hier«, wilhelmmichel.
 
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