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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 38.1927

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Geron, Heinrich: Bindung und Freiheit: ein Beitrag zum Thema: Wohnlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.10702#0069

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INNEN-DEKORATION

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arch1t. manfred wandel-stuttgart wohn- u. arbeitszimmer im kleinwohnhaus

BINDUNG UND FREIHEIT

ein beitrag zum thema: wohnlichkeit

Das Wesen des Wohnraums besteht zunächst in der überall. Die Orientalen lieben Teppiche, Vorhänge

Abgeschlossenheit an sich, in der Einbezogenheit. als beweglichere Raum-Absperrung; die Japaner haben

Der Mensch, der sich einem geordneten Innenraume hin- verschiebbare Wände und Außengalerien; die

gibt, unterstellt sich dem Gesetz der »Sammlung«. Perser schufen die vollständig »hallenhafte«, raum-

Die zentrifugalen, schweifenden Kräfte seines Bewußt- offene, übergangsfreudige Wohn-Anlage; die Griechen

seins werden »verdrängt«; die zentripetalen Mächte zogen die lockere »Besäulung« der starren Mauer vor;

der Ruhe und Besonnenheit behalten die Oberhand. . . . die Südländer haben Veranden, Loggien, Altane,

★ breite Raum-Anordnung mit Innenhof und Patio, offene
Die Psyche des natürlichen Menschen scheint nun diese Zimmer-Anordnung durch »Anticamere« und Korridore.

Unterdrückung der zentrifugalen Kräfte nicht jederzeit ★

und jedenfalls nicht auf die Dauer ertragen zu können; In unseren Breitegraden, wo die klimatischen Um-

das innere »G1 eichge wicht« der Geisteskräfte in ihrem stände viel konkretere »Raum-Isolation« verlangen, läßt

regen Bestreben kann meistens nicht durch einfache Ab- sich das Phänomen der kompensierenden »Befreiung vom

Sperrung erreicht werden. Ein einfacher Tatbestand, der Raumzwang« am schwersten beobachten. Aber wenn

schon dadurch belegt wird, daß seit Olims Zeiten Kerker man Abbildungen neuzeitlicher Wohnräume durch-

und Karzer, das heißt Einzelhaft in einem Räume, als blättert, so erkennt man überall Züge eines Strebens nach

Strafe empfunden, daß die rückhaltslose Ausbezogenheit dieser Richtung, erkennt man das Verlangen nach dem

des Mönches in seiner Zelle als Askese gewertet wird. . freieren, »offenen« und sich öffnenden Raum, erstaunt

★ man vor der Liebe, mit der die Landschaft ins Fenster
Der deutsche Studentenjargon kennt einen Begriff, der gefaßt, mit der die Pflanze zur Belebung das kärglich-

die zeitweilige Sensibilität gegenüber der Raumstarre aus- schlicht gewordenen Zimmers einbezogen ist, empfindet
drückt, nämlich »Budenangst«, und unsere Literatur- man die Gelöstheit, in der ein Nebenraum mitschwingt
Wissenschaft weiß längst, daß z. B. die Gemüts-Anlage und die Melodie der Raum - Umgrenzung im Raum-
der Romantiker im Grunde nichts anderes ist, als eine Durchblicken weitergeführt wird, spürt man die Frei-
Form »kosmischer Budenangst«, die Fluchtlust aus dem heit, mit der innerhalb des Hauses die Welt erlebnisoffen
endlichen Raum in das schwimmende, schwebige, unend- sich auflegt. . Denn während das »Ruhige« in uns sich in
liehe Element der Zeit. . Der Gefahr, die in einer ein- der Geborgenheit des Wohnraumes bestätigt, braucht das
seifigen Überantwortung an die Raum-Macht liegt, ist von »wandernde« Element Möglichkeiten des freien Sich-
allen Wohn-Gesittungen und Bau-Gesinnungen von jeher Ergehen-Könnens, des Ubergangs und der Aus-
»vorgebeugt« worden. Beispiele, die zur Stützung die- flucht.. Wird so das »Gleichgewicht« erzielt, dann ist ein
ses psychologischen Moments dienen können, bieten sich Geheimnis der Wohnlichkeit erfüllt. . Heinrich geron.
 
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