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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 38.1927

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Adler, Leo: Vom Bauen und von der Baukunst: einige wichtige Begriffs-Bestimmungen
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Burckhardt, Georg: Trieb und Ordnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10702#0120

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VOM BAUEN UND VON DER BAUKUNST

einige wichtige begriffs-bestimmungen

In seinem Ursprung hat »Bauen« mit Kunst nicht
das Geringste gemeinsam. Bauen an sich bedeutet
ausschließlich eine auf einen bestimmten praktischen
Zweck hin gerichtete Tätigkeit von Lebewesen. Weder
das »Raumvolumen«, noch die Errichtung körperlicher
Dinge, sondern der »Schutz« vor den Unbilden der
Außenwelt ist das zunächst Gewollte. Bei dem bloßen
»Bauen« spielt das Kunstwollen wie die Erscheinung
selbst als künstlerischer Wert noch keinerlei Rolle, hier
herrschen Zweck und Technik durchaus unumschränkt. .



Die Begriffs-Bestimmung der »Baukunst« läßt sich
so festlegen: Baukunst ist physisch-zweckvolle Raum-
gestaltung, unter Umsetzung einer ästhetisch zwecklosen
Raum-Idee in ihre Erscheinungs-Form, in die drei-
dimensionale Realität des empirischen Raumes, durch
Aufrichtung von drei dimensionalen Blockflächen. Die
wohlproportionierte Blockfläche als Abgrenzung des Rau-
mes ist Form, die zweckvolle Raumgestaltung gemäß
einer ästhetischen Raum-Idee ist Inhalt der Baukunst.

Mit dieser Definition der Architektur ist die Stellung
der Baukunst zwischen sogenannter »freier« und »an-
gewandter« Kunst gekennzeichnet. Baukünstlerische
Werte sind weder identisch mit Zweck-Erfüllung noch
sind sie — als künstlerische Werte — davon abhängig.
Die gegenteilige Meinung, — so vielfach sie heute auch
vertreten wird, — stellt einen Grund-Irrtum in der
Auffassung vom Wesen der Architektur dar. Er ent-
springt dem unstreitig »gewandelten« Verhältnis unseres
Empfindens zu Schönheit und Zweckmäßigkeit ebenso
wie der Wandlung der gegenseitigen Beziehung beider
zueinander. . Trotzdem ist er ein Fehlschluß von ver-
hängnisvollen Folgen! . Zweck-Erfüllung und ästhetische
Gestaltung sind Voraussetzung jedes baukünstle-
rischen — nicht lediglich »baulichen« — Werkes.
Verneinung auch nur einer dieser beiden Voraussetzungen
ist leerer Doktrinarismus, ist eine im theoretischen Lehr-
gebäude der Baukunst unverwendbare Fiktion. In aller Bau-
Kunst handelt es sich ausschließlich um deren gegen-
seitiges Verhältnis und unsere Stellungnahme zu ihnen. .



Der Unterschied zwischen der sog. »schönen Bau-
kunst« im »klassizistischen« Sinne und der neuzeitlichen
sog. »Zweckbaukunst« liegt nicht in der irreführen-
den Verwendung des Begriffes »Zweck« im letztgenann-
ten Schlagwort (mehr ist es nicht), sondern darin, daß
bei dem neuzeitlichen Bau nicht ein dekorativ-monumen-
tales Gewand den Baukörper »umhüllt«, sondern statt-
dessen die künstlerische Behandlung nach einer ästhe-
tischen Idee den Baukörper und seine Begrenzungen
selbst ergreift. . Es ist nicht die Gegensätzlichkeit von
Zweck und Schönheit, die diese Bauten trennt; denn
erst eine künstlerische Behandlung des Zweck-Körpers
überhaupt schafft hier wie dort die ästhetischen Werte.
Sie allein kann letzten Endes auch den Nutzbau auf ein
höheres Niveau bringen, ihn zum Werke der Baukunst er-
heben. Während aber in der sog. »schönen Baukunst« die
ästhetische Bedeutung durch »Hinzufügen« mehr oder
minder zahlreicher Einzelglieder wesentlich mitbestimmt
wird, ist in der neuzeitlichen Architektur ein weitgehen-
der Verzicht auf diese »funktionalen« Schmuckformen

festzustellen oder zum mindesten ihre Zurückführung
auf ein Minimum, auf den »knappsten« Ausdruck.
Solange ein Gegensatz in »Schönheit« und »Zweck-
erfüllung« erblickt wird, fehlt jeder zureichende Grund
zur Erklärung der Tatsache, daß die neuzeitliche Auf-
fassung als »fortschrittlich«, jene andere aber als unzeit-
gemäß und »veraltet« wirkt. . Denn wo wäre ein ver-
nünftiger Grund für die Annahme ersichtlich, daß unsere
Zeit auf Schönheit der Bauten verzichten wollte?
In der Tat zeigt sich bei der Architektur der »Zweck-
mäßigkeit« in den weitaus meisten Fällen eine formale
Flucht vor jeder konstruktiven Notwendigkeit in das
ästhetische Gebiet der äußeren Nachahmung technischer
Formen, d. h. eine Ingenieur-Romantik , die ihren eige-
nen »Grundsätzen der Zweckmäßigkeit« Hohn spricht.

*

Dagegen erkennen wir für die »Wandlung« des
ästhetischen Wert-Urteils eine ganze Reihe von Gründen,
die in ihrer Gesamtheit gerade diese Wandlung als zeit-
bedingt hinreichend erklären. . Daß die »Verknap-
pung« der Formen, die infolge unseres neuen Verhält-
nisses zu Raum und Zeit erwünschte »Kurzfristig-
keit« des ästhetischen Erlebnisses außer künstlerischen
Gründen noch wirtschaftliche hat, ist im Zeitalter der
Industrialisierung nur in der Ordnung. . Freilich stehen
wir wohl erst am Beginn dieser Entwicklung. . Typisie-
rung und Normalisierung haben erst eingesetzt, und in
diesem Ringen zwischen handwerklich-hergebrachter
und industriell-neuzeitlicher Erzeugung baulicher Formen
liegt wahrscheinlich das entscheidende Formproblem zu-
künftiger Baukunst. Und dieses scheint uns ein viel zu
tiefgehendes zu sein, als daß es mit dem allzu bequemen
Schlagwort des »Konstruktivismus« abgetan werden
dürfte. Denn eine drohende Gefahr birgt offensichtlich
diese Tendenz: die der völligen »Mechanisierung«. . . .



Sind »Zweck« und »Schönheit« nicht identisch, so
leuchtet ein, daß alle Mechanisierung — als Auswirkung
des volkswirtschaftlichen Prozesses unserer Tage — ihrer
Naturnach ausschließlich auf die »technisch-zweckmäßige«
Seite baulichen Schaffens allein sich erstrecken muß.
Aber letzthin bedürfen auch alle mechanisierten
typischen Bauteile und -formen der anschaulichen
Ordnung nach den ewigen Urgesetzen alles bau-
künstlerischen Schaffens: der Proportion und des
Rhythmus, des Massen-Gleichgewichts und so fort.

dr. leo adler, (»vom wesen der Baukunst«, verl. asia major Leipzig.)

TRIEB UND ORDNUNG

Im Seelischen liegt ein Irrationales, im Geistigen das
Moment der Sinngebung, der Formung, der Normbil-
dung, der Ordnung. . »Geist« nennen wir das schöpfe-
rische Prinzip der in Kulturgebilden wirksamen und ob-
jektivierten Umformungen der Natur, oder das Prinzip
der Formung eines bloß natur- und seelenhaft Vor-
liegenden, Gegebenen.. Wo aber das Seelisch-Irrationale
fehlt, d. h. das naturhaft Instinktive, Triebartige, das ur-
sprünglich gesunde Gefühl, das Anschauende, bilderreich
Phantasie volle, da kann auch das Geistige zum bloß Intellek-
tuellen, Verstandesmäßigen, einseitig Rationalistischen
werden — und entarten. . . dr. georg burckhardt.
 
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