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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 38.1927

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Michel, Wilhelm: Das verwirklichte Ding
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https://doi.org/10.11588/diglit.10702#0135

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INNEN-DEKORATION

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AUSSTELLUNO GEBRÜDER SCHÜRMANN HERRENZIMMER. ENTWURF: F. A. BREUHAUS

DAS VERWIRKLICHTE DING

VON WILHELM MICHEL

Wenn die technische Form immer mehr auf das Nehmen wir etwa nicht alle teil an der modernen Feind-
ehemals abgegrenzte Gebiet der Handwerkskünste schaft gegen alle Ideologie ? Und bedeutet »Ideologie«
übergreift, wenn sie sich im Hausgerät, in der Raum-und nicht eben jenes »Hinaus« über die konkrete Sachlage
sogar in der Haus-Gestaltung jetzt zur Geltung bringt, und Tatsachenfrage, das Hinaus über den einzelnen Fall,
so fragt sich: wie diese Erscheinung zu deuten sei? . . das als Sehnen, Wünschen und Sollen geistig über das
Sie ist nicht etwa so zu deuten, als ob der Zweck- reale Leben hinausspielt? Wo immer geistige Forderung
begriff mit einem unvermittelten Salto ins Bereich der und reales Leben zusammentreffen, da geben wir alle dem
Handwerkskünste hinübergesprungen sei. Denn auf das letzteren recht. Wir wollen alle, daß der Geist sich
Zweckmäßige und Notwendige war alle Kunst von je- der Wirklichkeit beuge, daß er ganz ohne Rest in
her eingestellt. . Schmuck hat sie nie als etwas »Uber- sie eingehe und in der lebenden Gestalt unsichtbar
flüssiges« aufgefaßt, sondern als einen inhärenten Bestand- werde; dem realen Leben soll er dienen und soll sich
teil der Gesamtform. Das Kunstwerk will — so von ibm weder als Philosophie des Sollens noch als
kann man mit einer paradoxen Wendung sagen — von Doktrinärpolitik — noch als Schmuckbestandteil abheben.

Anfang an dasselbe wie die Technik: es will ein Im Ding soll er leben, — nicht am Ding.........

genauer, zutreffender Ausdruck von geistigen und ding- Wenn heute, wie allgemein zu beobachten ist, die
liehen Notwendigkeiten, Tatsächlichkeiten, Zweck- Luft zwischen den Menschen dünn geworden ist, weil
mäßigkeiten sein! Es will immer der »Struktur« des zu- jeder zunächst sein einziges, konkretes Dasein leben
gehörigen Menschen voll und präzis entsprechen. Der will, so spricht auch dies dafür, daß sich der Geist mög-
Zweckmäßigkeitsbegriff ist kein fremder Eindringling im liehst eng an die lebende Gestalt binden will. Jedes Ding,
Bereich der Künste, — er hat es von jeher beherrscht. . jedes Wesen will heute restlos mit sich selbst identisch
Wenn nun heute das Haus und das Hausgerät sich in sein. Niemals war die »Ausstrahlung« aus den einzelnen
der erwähnten Weise verändern, wenn sie sich der tech- Wesen so gering wie heute, weil alle Lebens-Tendenzen
nischen Form auf allerlei Wegen nähern, so ist das nicht zunächst auf eigene Verdichtung und Verwirklichung
als eine willkürliche Veränderung in diesen Objekten, gerichtet sind; und zwar betrifft dies ebenso sehr die
sondern als eine Veränderung in der Struktur des dazu- Ausstrahlung an Liebe wie an eigentlichem »Gemeingeist«,
gehörigen Menschen zu lesen. Es muß in diesem Men- Der Relativismus, der das ganze moderne Denken be-
sehen die psychologische Entsprechung zum alten Zier- herrscht, muß notwendig dazu führen, jedes Leben in
werk, zur alten Form-Beseelung weggefallen sein, und seiner Einzigkeit zu bestätigen, es auf sich zu beschränken,
das Kunstwerk versagt sich die alte Formungsweise nur ihm jedwede Sehnsucht über sich hinaus zu verleiden. .
deshalb, weil sie nicht mehr Ausdruck einer Wahrheit, Und so ließen sich aus der Wissenschaft wie aus der
weil sie nicht mehr »zweckentsprechend« ist. . Die neue praktischen Lebens-Ethik unserer Tage noch eine Menge
technische Gestaltungsweise ist geistesgeschichtlich be- Einzelheiten anführen, die alle auf den einen großen Prozeß
gründet; die Veränderung kommt aus uns allen selbst. der Konsolidierung, der »Ernüchterung« der schmuck-

1927. III. 8.
 
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