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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 38.1927

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Adler, Leo: Entwicklung und Übergang: Bautechnik und künstlerische Formsprache
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Keyserling, Hermann: Vom Wirkungs-Kreis
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https://doi.org/10.11588/diglit.10702#0167

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ENTWICKLUNG UND UEBERGANG

bautechnik und künstlerische formsprache

Neue Aufgaben für die Architektur bilden sich im
allgemeinen zunächst aus dem, aus irgendwelchen
Gründen »geänderten Bedürfnis« heraus, — sei es
durch lediglich praktische, physische Zwecke, sei es
durch psychische Erfordernisse bedingt. Aus derartigen
Bedürfnissen ergeben sich die Bestandteile der neuen
Bau-Aufgaben, die neue Zwecksetzung für das Baupro-
gramm, bezw. die Abänderung oder Erweiterung des bis-
herigen, — ohne daß zunächst überhaupt eine veränderte
»ästhetische Idee« in Tätigkeit zu treten braucht.



Die Anfänge der Entwicklung einer neu auf treten-
den Raumgestaltung sind gleichzeitig Endglieder
von Entwicklungs-Reihen auf anderen Gebieten mensch-
lichen Seins, — oder sie können es zum mindesten sein.
Tritt ein derartig zweckhaft-praktisches Bedürfnis nach
neuer Raum-Gestaltung als »Endglied« irgendeiner kultu-
rellen Entwicklungs-Reihe auf, so ist die Erfüllung und
bestmögliche Befriedigung dieses neuen Bedürfnisses die
nächste Aufgabe der »Bau-Technik«. Zum Auftakt, zur
»Vorstufe« wird die technische Gestaltung und schließ-
liche Lösung der konstruktiven Bedingung der neu auf-
getretenen Aufgabe. . Die Formsprache aller technisch
nicht notwendig zu ändernden Teile des Bauwerks kann
hierbei vorerst durchaus die althergebrachte und ge-
wohnte bleiben, — und sie bleibt es auch zumeist in-
folge der vorwaltenden psychischen Beharrungs-Tendenz.

So können wir als das Merkmal eines »endogenen
Uberganges«, einer ersten »Stilphase« das Auftreten
neuer konstruktiver Gedanken und Versuche feststellen,
unter vorläufiger Beibehaltung bezw. »Anpassung« der
bisher gewohnten Schmuck- und Nebenformen, — mit
einem Wort: ein Beibehalten der bisherigen Formsprache.

*

Auch das umgekehrte Verhältnis tritt häufig ein:
daß nämlich die neueingeführte Formensprache sich zuerst
an ornamental-dekorativen Einzelheiten auswirkt, — als
an der bei oberflächlicher Betrachtung besonders in die
Augen springenden Stelle. In allen solchen Fällen handelt es
sich um »Übertragungen«,»Akkulturationen«, denen gegen-
über sich der eigene Formwille überall dort durch-
setzt, wo er konstruktiv am stärksten gebunden ist.
Äußerlichkeiten, Dekorationen sind am ersten spielerisch
»übertragbar«, da ihnen die richtige Stütze der »Stetig-
keit« fehlt, die in der praktischen Zweck-Erfüllung liegt.

*

Die neue Konstruktion, hervorgerufen durch das
neue Zweck-Bedürfnis, erzeugt — unter der Herrschaft des
ästhetischen Grundsatzes von der »Einheit in der Mannig-
faltigkeit« — allmählich eine neue, ihr entsprechende
Sprache auch der Schmuckformen, ja aller Einzelheiten;
denn eben aus dem angeführten Grundsatz heraus wohnen
der Konstruktion ebenso »formbildende« Prinzipien
inne, wie dem Baustoff selbst. Es vollzieht sich auf dieser
Entwicklungsstufe — unter der Wandlung der geschicht-
lichen Struktur des Bewußtseins von dem »Beharren« auf
die »Anpassung« hin — die Verschmelzung der
neuen Konstruktion mit der neuen Formsprache.
Der Zeitpunkt tritt ein, da die Bau-Aufgabe nach ihrer
technischen ebenso wie nach der formalen Seite hin ihrer
endgültigen Lösung — (der Idee nach) — zugeführt wird.

In der dieser Phase vorausgehenden »Frühzeit« er-
zeugt die Unausgeglichenheit zwischen Zweck und Idee,
zwischen Formsprache und Konstruktions-Bestrebungen,
einen Widerspruch, eine zutage tretende »Spannung«
der ästhetischen Reize, die allen hochstehenden Werken
solcher Frühzeiten ihren besonderen Wert verleiht. . . .



Bei der Entwicklung des jeweiligen architektonischen
Raum- und Formproblems von der »Frühzeit« bis zur
»Blüte« kann die Lösung zu einer vollendeten »Harmo-
nie« oder zu der »Unterordnung« des einen Prinzips
unter das andere führen. . Bei der harmonischen Ver-
einigung von Konstruktion und Dekoration, von Raum-
gestaltung und Formsprache erscheint das Bauwerk von
vollendet in sich ruhendem »Sein« erfüllt, es hat »klas-
sische« Gestaltung erhalten. . Bei der »Unterordnung«
des einen Elementes unter das andere scheint die Form
wie im Ringen mit der Konstruktion hervorgegangen.
Diese Lösung erweckt infolge des zur Herrschaft gelang-
ten Prinzips der Überordnung des konstruktiven Mo-
ments über das Dekorative, — also des Ausschlusses
des Gleichgewichts, der harmonisch-freien Entfaltung
beider, — in hohem Maße das Gefühl der »Aktivität«.
Das Ergebnis für den ästhetischen Eindruck der s o ent-
falteten Blüte ist nicht mehr der eines harmonisch in sich
ruhenden »Seins«, sondern der eines von — wenn auch
ästhetisch gebändigten — Disharmonien erfüllten Strebens,
eines von ewig ungestillter Sehnsucht nach Vollendung

erfüllten Lebens. . . . dr. leo adler, (»wesen der Baukunst« )



VOM WIRKUNGS-KREIS

A ls Naturerscheinung unter anderen löst jeder Mensch
_l \ mit Notwendigkeit spezifische Wirkungen aus —
im qualitativen wie quantitativen Verstände. Daß dem
so ist, erweist die eine Erfahrung, daß seine wahre
Wirklichkeit unter allen Umständen, trotz aller Absicht
und Vorspiegelung, über die dauernde Wirkung ent-
scheidet. . Jeder ist tatsächlich, was er »unwillkürlich« ist.
Jeder kann nur, was er unwillkürlich kann. Jeder wirkt
unwillkürlich seiner faktischen Eigenart gemäß.



Jeder Mensch hat einen »natürlichen Wirkungs-
kreis«, welcher nach Weite sowohl als Besonderheit der
jeweiligen »Eigenart« genau entspricht. . Der Mensch
allein kann die äußerste ihm erreichbare Wirkung aus-
üben, der seinen natürlichen Wirkungskreis exakt be-
bestimmt, d. h. seine Grenzen richtig erkennt und
als Natur-Tatsachen akzeptiert. Denn da er unter keinen
Umständen für die Dauer mehr erreicht, als »in ihm liegt«,
so helfen Einbildung und Absicht zu nichts.



Verstellung beschwört Widerstände. Wer lügt, ver-
zerrt oder verbiegt damit seine eigene Gestalt. . Dem
Wahrhaftigen und Aufrichtigen aber muß es auf die
Dauer glücken. Gewiß ist nicht Jedem Erfolg im üblichen
Sinn beschieden. Hat einer indes, den äußeren Möglich-
keiten entsprechend, nur ganz getan, was seine Erkennt-
nis als seine Bestimmung anerkannte, dann hat er
sein Schicksal erfüllt. . . Wille und Schicksal aber
sind im Tiefsten eins..... graf hermann Keyserling.
 
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