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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 38.1927

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Nádai, Paul: Landhäuser und Räume in Ungarn: neue Arbeiten von Ludwig Kozma
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https://doi.org/10.11588/diglit.10702#0198

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LANDHÄUSER

UND RÄUME IN UNGARN

NEUE ARBEITEN VON LUDWIG KOZMA

Der auf ungarischem Boden arbeitende Architekt
schafft unter ganz besonderen und einzigartigen
Bedingungen. Sowohl die Großstadt wie die Kleinstadt
im Ungarlande sind von dem silbernen Gespinst der
Romantik überschleiert. In dieser Umwelt findet der
Erzähler Märchenthemen, der Lyriker seltsame Klänge,
der Musiker die Melodien windverwehter Kinderlieder,
und dem stillen Spaziergänger bieten sich auf dem Lande
die Farbenspiele buntgestickter Bauerntrachten. . Kann
da wohl der Architekt in seinem Schaffen unberührt blei-
ben in diesem zauberdurchwobenen Nebelschleier, der das
Wesen der Dinge auf so seltsame Art durchwirkt und färbt ?



Ludwig Kozma war einer der ersten, der diese
geheimnisvolle Ausstrahlung des ungarischen Bodens auf-
zunehmen vermochte: in seinen Arbeiten, den Häusern,
Möbeln, Bilderbüchern, Stickereien webt der Duft der
Volks-Romantik. Da ist in den Bildern dieses Heftes ein
Haus mit kühnem Giebel — an einer Berglehne der unga-
rischen Hauptstadt. Der Architekt mußte hier aus einem
alten, an der Berglehne vergessenen Häuschen ein modernes
Villenhaus hervorzaubern. Die gestufte Terrasse, die zu
dem Gartenplateau führt und von dort langsam ansteigend
zu den Wohnzimmern, läßt schon in ihrer Anordnung
»orientalische Würde« spüren. Das Haus selbst, das wie
ein Schwalbennest an dem Hügel klebt, zeichnet von der
Straßenseite die Silhouette des stark geschwungenen Gie-
bels in die Umgebung, in diesen von muselmännischen Er-
innerungen aus der Türkenkrieg-Zeit belebten Stadtteil.

Es ist für Ludwig Kozma charakteristisch, daß er den
»esprit local« immer mit einer gewissen Zurückhaltung
wiedergibt. Bei seinen neueren Wohnhaus-Bauten geht
dieses Taktgefühl so weit, daß er seine dekorativen Kräfte
fast vollkommen nach innen zusammenfaßt. Nach außen
teilt er nur seine flüchtigen Impressionen über die Sonderart
der Gegend-Romantik mit. Die kleinstädtischen Häuser
der ungarischen Tiefebene zeigen nach außen, der Straße
zu, eine heitere Laune. Bei dem »Haus des Verlegers
I. Kner in Gyoma« — das zwischen freundliche Bauern-
häuser und kleinstädtische Bürgerhäuser eingebettet liegt
— vermeidet der Architekt absichtlich ethnographische
und historische Übertreibungen. Er gibt von beidem
etwas: eine breite, heitere Front in gelb weißfarbigem
Verputz, damit läßt er das Folkloristische, aber zugleich
die Abgeschlossenheit der Lebensweise des ungarischen
Provinz-Bauherrn ahnen, die mit der des englischen ver-
wandt ist. Kozma drückt diese Zwiefältigkeit der Ge-
gebenheiten einesteils im Grundriß aus, andererseits durch
die Ornamentik — aber mit einer angesichts des unga-
rischen Volksgeistes, des Melodienreichtums und der
Farbenliebe in diesem Land bemerkenswerten Mäßigung.



Von diesen Bauwerken könnte dennoch unter kühleren
Himmelsstrichen der mit ungarischen Verhältnissen nicht
vertraute Betrachter ein Ubermaß an Ornamentik und
übertriebene Linienführung ablesen. Ludwig Kozma be-
tont jedoch diesen Zug bewußt, indem er auch selbst die
lyrische Ausdrucksmöglichkeit der Materien sucht. Die
Materie verfeinert sich unter seiner Hand aufs Äußerste,
aber noch immer ist in ihr etwas von den Melodien der

Pan-FIöte enthalten. Die großen, breiten, weißen oder
farbigen Flächen eines Schrankes, die leuchtenden Über-
züge der Sitzmöbel, das Wellen spiel der Umrißlinien eines
Bettes, die feine Intarsien-Arbeit eines Parfüm-Schränk-
chens oder Lack-Kästchens bringen in jedes Zimmer ein
Strahlen der Oberflächen, das im ersten Augenblick be-
rauschend wirkt. Hier kommt dem ungarischen Betrachter
immer aufs neue nicht das echte Rokoko in den Sinn, son-
dern ein anderes, ein in einer schaukelnden Nußschale
lebendes »Feen-Rokoko«, von dem das ungarische Volks-
märchen erzählt: ein zärtlich-humoristisches Rokoko, —
das in einen scharlachroten Husarendolman gekleidet ist.



Ludwig Kozma ist unzweifelhaft der Raumgestalter
jenes feinnervigen, kunstliebenden Geistes, der auch in
der Wohnung seinen Lebens-Impuls, dessen Vibrieren
sucht. Gute Laune, Wohlhabenheit, lebensbejahender
Optimismus: dies reißt den Bewohner aus der Welt der
Arbeit in eine freudenvolle Welt, die »über dem Alltag«
schwebt. Das bedeutet jedoch nicht, daß Ludwig Kozmas
Schaffen nur von diesem »orientalischen« Gehalt erfüllt
ist. Er besitzt auch Gefühl für die Einfachheit, für die
gedämpfteren Lebens-Ansprüche. Schlichte Nußbaum-
Möbel gruppieren sich um den Tisch eines freundlichen
Zimmers, und von schneeweißer Wand blickt ein beschei-
dener Spiegel, ein liebenswürdiger Wandleuchter auf sie
herab. Blauer oder grüner Ripsstoff auf den Stühlen, ein
ruhig geformter Schreibtisch an der Wand, kräftige Kon-
struktionen und fast gar kein Ornament über ihnen: solche
schlichteren Formungen betonen den Geist der Zeit.



Wenn man über die neueren Wohnzimmer Ludwig
Kozmas Schau hält, fällt seine große Sympathie für die
Feinheit der Instrumentation der Wohnungs-Geräte auf.
Seine Möbel entfernen sich allmählich davon, als »objets
d'art«, als einsame oder abgetrennte Kunstgegenstände
im Zimmer zu wirken. Ihr Leben verschmilzt langsam mit
der Umgebung, sie werden zu Organen der Wand oder
einer Ecke. Diese Tür-Offnungen mit ihrem fein profilier-
ten Bogen, die Fenster-Nischen mit den schräg geführten
Mauer-Einbuchtungen inspirieren den Künstler, Durch-
blicke zu geben, Szenerien zu gestalten, in denen die
Möbel oder auch nur der Vorhang von ihrer vornehmen
Lebens-Funktion sprechen. Für andere bedeutet die Fen-
ster-Lösung nur ein Beleuchtungs- oder ein dekoratives
Problem. Bei Kozma beginnt die Wohnung mit einer Be-
leuchtungs-Fläche, er fühlt für die Fensternische, für die
Tür eine Art von geheimnisvoller Ehrfurcht, — wie der
gute Regisseur für einen stummen Darsteller. Denn da-
rin tritt der wahre Inhalt der Wohnung in Erscheinung:
ihr wirkliches »Leben an sich« — maßlos und lächelnd.



Das ist es, was »Empfindlichkeit für die Nüan-
cen« genannt werden könnte und was in Kozma infolge
des tief reichenden Erfassens der alten Möbel-Kunst sich
verdichtet und verwirklicht hat. Das ist es, was auch
seiner Ornamentik abwechslungsreiches, melodienreiches
Leben gibt: ihre Differenzierung, ihre Auflösung in die
formschönen Details. Auf dem Gitter jedes Heizkörpers
ein Motiven-Detail, auf den Wandleuchtern, Spiegelrah-
men, Stucco-Reliefs allerlei geartete, neugeformte, durch-
 
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