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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 39.1928

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Michel, Wilhelm: Von der echten Erneuerung: man muss das neue sein, nicht machen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11738#0338

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XXXIX. JAHRG.

DARMSTADT

AUGUST 1928

VON DER ECHTEN ERNEUERUNG

man muss das neue sein, nicht machen

Neologie nennen wir die Umgestaltung desÄußer-
lichen und Buchstäblichen, das Reformieren
der Oberfläche. Sie steht im Gegensatz zur echten
Erneuerung, die den Geist und die treibenden Kräfte
ändert und von da aus erst zueiner Neugestaltung des
Zuständlichen gelangt. Neologie vertraut auf das
»Machen«. Sie glaubt, daß der Mensch aus seinem
bewußten Wollen heraus Neues fabrizieren könne.
Sie verwechselt die Form mit der Gebärde, die
Gestalt mit dem Kleid. Sie wird damit zur Ver-
hinderung des wahren Fortschreitens. Sie lenkt
von jeder echten Erneuerung ab. Sie wirft dem
Betätigungstrieb ein handfestes Objekt hin, erweckt
den Glauben, daß mit dessen Bearbeitung etwas
Wesenhaftes getan sei, und stumpft so den Vorstoß
in die entscheidende Tiefe ab. Neologie ist die
Maske, die die ewige Trägheit des Menschen an-
genommen hat, um unter dem Schein der Tätigkeit
auf derselben Stelle verharren zu können. Fast
alles, was als »Bewegung« auftritt, ist neologisches
Herumzausen am Kleide, nicht organisches Arbeiten
am Wesen der Dinge. Man muß das Neue sein,
nicht machen. Was nicht aus dem Sein kommt,
vermag die Welt nicht zu ändern. Nur neue Men-
schen, das heißt Menschen, in denen eine Zukunft

schon geboren ist, verwandeln wahrhaft die Ge-
stalt der Dinge, indem die in ihnen angelegte Zu-
kunft heraustritt in den geschichtlichen Tag. Die
Neuheit des Seins aber tritt um so sicherer und
klarer als umformende Kraft hervor, je weniger sie
sich mit bewußten, neologischen Tendenzen ver-
bindet. Der nach einem alten Modell geformte
Mensch wird immer nur das Alte hervorbringen,
mag er noch so krampfhaft nach dem Neuen zielen.
Aber der seinsmäßig »zukünftige« Mensch wird
das Neue gerade dann am gewissesten in die Welt
ein-bilden, wenn er ganz ohne Absicht, d. h. unter
wahrer Entfesselung der seinsmäßigen Kräfte
tätig wird. Hölderlin schrieb über seinen »Hype-
rion« : »Ich wünschte um alles nicht, daß es originell
wäre. Originalität ist uns ja Neuheit; und mir ist
nichts lieber, als was so alt ist, wie die Welt«.
Dies und nichts anderes ist die Gesinnung wahrer
Erneuerung. Nur in ihr werden diejenigen unserer
Kräfte frei, mit denen wir an das Diesseits, an die
Welt und an das Werk angeschlossen sind. Unser
bewußtes Wollen treibt uns leicht aus der Fühlung
mit der Welt heraus. Was aber aus unserem
Sein kommt, senkt sich in das Säkulum ein und
treibt es vorwärts in neue Gestalt. . Wilhelm michel.

i«28. vni. 1.
 
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