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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 39.1928

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Michel, Wilhelm: Von der neuen Gestalt
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https://doi.org/10.11588/diglit.11738#0490
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INNEN-DEKO RATION

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WERKSTÄTTEN HAUS & GARTEN-WIEN SCHRANKRAUM M. EINGEBAUT. DUNKELKAMMER

nur die Schutzfrist, die sich die Menschheit gönnte, und dann fängt er an, in seiner Wohnung
um sich an die neue Wahrheit, an ihre eigene auf-und auszuräumen, und neue Dinge herein-
Wahrheit langsam gewöhnen zu können. Was der zubringen. Denn auf die Dauer vermag die Mensch-
Mensch in seiner Wohnung als reizvoll, behaglich, heit nicht gegen eine neue Gestalt, die in ihr ent-
anmutig schätzt, bleibt genau so lange drinnen, bis keimt ist, zu leben. Eine gewisse Dosis Lüge,
er gelernt hat, ganz andere Dinge reizvoll, behag- Schein, Verschleierung bekommt der Menschheit
lieh und anmutig zu finden; andere Dinge, die sehr gut; denn das ist immer zugleich eine Dosis
näher zu ihm gehören und Zutreffenderes über ihn von »Einstweilen«, von Aufschub und Wartefrist,
selber aussagen. Sehen Sie denn nicht, daß der von Schutz gegen gewaltsame Überflutung. Aber
Mensch des Biedermeier eine Menge Krimskrams sobald die Spannung zwischen Schein und Wahr-
entbehren, ja mißachten gelernt hat, die dem Men- heit (eben der Wahrheitjener faktischen Neugestalt,

sehen des Rokoko unentbehrlich war?..... die im Verborgenen angelegt ist und von da auf-

Kein Architekt — da haben Sie ganz recht — taucht) ein gewisses Maß überschreitet, wird es

keine Stilbewegung reißt dem Menschen Dinge aus dringendes und unabweisbares Bedürfnis, einen

seiner Wohnung heraus, an denen er noch seine Ausgleich herbeizuführen — und dann erfüllt

Freude findet, die noch notwendig zu ihm gehören, sich, was der Künstler gesehen hat.« . . .

Aber der Mensch selber bildet sich um, zu- ★

nächst vielleicht ganz weit entfernt von den Dingen Und nach einer Pause setzte der Architekt nach-
seiner Wohnung, vielleicht im Tempo seiner Arbeit denklich hinzu: »Es ist wirklich nur ein Zeit-
oder seiner Verkehrsmittel, vielleichtimpolitischen unterschied, was uns trennt, uns Künstler und die
Bereich, vielleicht bloß in der Kleidung und in der Anderen, für die wir arbeiten. Wir sehen, glaube
Lebensweise. Aber wo es auch anfangen möge: ich, keine Träume, keine Phantasiegebilde. Wir
die neue Form wühlt sich durch alle seine Lebens- sehen immer nur Wirklichkeit; nur etwas frü-
stoffe durch, es fällt bald hier, bald dort eine Kulisse, her, immer um jene eine Viertelstunde früher. . .
es gibt ein Wachsen und Sprengen, bis endlich das Ist es ein Zufall, daß schon der erste Künstler, Pro-
neue Werden auch sein Bewußtsein erreicht — metheus, der »Voraussinnende« hieß?« . w.michel.

1928. XII. 2.
 
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