Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 42.1931

DOI Artikel:
Ritter, Heinrich: Prinzip der Freizügigkeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10795#0342

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
320

INNEN-DEKORATION

ARCHITEKTIN: MARLENE POELZIG-BERLIN

SPEISEZIMMER. BODEN-BELAG: TRAVERT1N

PRINZIP DER FREIZÜGIGKEIT

Räume, Örtlichkeiten, in denen wir ein bestimmt
geprägtes Erlebnis gehabt haben, nehmen die
Farbe dieses Erlebnisses an. Es schlagen sich
magische Verbindungen zwischen Ort und Seele.
So entstehen die Sagen von Lokalgeistern, von
verwunschenen oder gesegneten Häusern. Der
»magische Rest« im Menschen lebt in solchen
»Beziehungen zwischen Außen und Innen«.
In den arabischen Märchen liest man, daß der
Herrscher ein »Zornkleid« anzieht, wenn er böse
ist, und ein »Gnadenkleid«, wenn er Milde walten
lassen will. Es wird auch berichtet, daß alte
Paläste »Säle der Gnade« und »Kammern des
Zorns« hatten. Zu dem einen Raum gehört diese
Seelenlage, zum andern die andere.

Die ganze altertümliche Welt zeigt im
Räumlichen solche »psychische Spezialisie-
rungen«; sie denkt und lebt weitgehend in räum-
lich-psychischen Beziehungen. . Ein Europäer
hört von samoanischen Mädchen (»Tangaloa«)
am Meeresstrand ein Lied. Er wandert weiter und

trifft eine andere Mädchengruppe. Er bittet sie,
ihm das Lied zu singen, das er eben hörte. Aber
sie schütteln lachend die Köpfe. Sie können hier
jenes Lied nicht singen. Warum? Weil an dieser
Stelle der Küste die Brandung anders rauscht.

Der moderne Mensch, der Europäer, kann ein
Lied, das er kennt, überall singen. Sein Können,
seine Kräfte gehen mit ihm, wohin er auch geht.
Das ist das Ernste und Folgenreiche im Wesen
seiner »Freiheit«, daß sie ihn vom Ort und seinen
»Geistern« fast unabhängig gemacht hat. Das
klarste Zeugnis dafür ist seine »entmagisierte«
Wohnung. Diese Wohnung spiegelt das europä-
ische Ich in seiner Autonomie, in seiner freien
Verfügung über seine Kräfte. Der Mensch, der
ein Zornkleid anzieht, wenn Zorn in ihm lebt, und
ein Gnadenkleid, wenn es um Gnade geht, gibt zu
erkennen, daß der zornige Mensch in ihm von
dem gnädigen Menschen weitgehend verschieden
ist. Auch der moderne Mensch fühlt wohl noch
diesen Unterschied, aber er betont ihm gegenüber
 
Annotationen