Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 42.1931

DOI Artikel:
Schiebelhuth, Hans: Raum-Empfindung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10795#0365

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNEN-DEKORATION

343

RAUM-EMPFINDUNG

Die Europäer haben sich theoretisch seit langem
mit dem Phänomen des »reinen Raums«
beschäftigt. Eine Bemerkung des Ironikers Lich-
tenberg aus dem späten 18. Jahrhundert deutet
auch darauf hin: »Ich glaube, daß ein »Gedicht
auf einen leeren Raum« einer großen Erhabenheit
fähig wäre. Ich glaube wenigstens so, nach allem
was ich bisher gelesen habe; vielleicht trägt aber
meine eigene Disposition etwas dazu bei«. Prak-
tische Versuche aber »im reinen Raum mit beweg-
licher Einrichtung zu wohnen«, wurden nicht un-
ternommen, schloß sie doch schon die Bauart
unserer Häuser — Mauerwände mit Türen und
Fenstern — aus. Der »Raum« an sich galt nicht
als bewohnbar; die »Einrichtung« gehörte
immer unbedingt dazu. Die Art der Einrichtung
war starr und fest; die meisten Dinge hatten ihren
»rechten« Platz, und wenn man auch aus Anlaß
eines Besuchs einmal Möbel verrückte, Tisch und
Stühle »anbaute«, man hatte doch nicht das Ge-
fühl, daß Möbel, dem Wortsinn entsprechend, be-
wegliche Dinge seien, sondern Gegenstände, die
in einer festen Anordnung in die Zimmer gehörten
und nur bei Umzügen bewegt werden dürften.

Die traditionelle Wohngesittung Japans stand
vor noch verhältnismäßig kurzer Zeit im polaren
Gegensatz zur europäischen. Man wohnte dort-
zuland beweglich-improvisatorisch. Der Wohn-
raum war »reiner Raum«, völlig der Ausstat-
tung bar. Auf dem Boden lagen Fasermatten, die
Wände waren verschiebbar; Türen und Fenster
in unserem Sinn gab es nicht; sogar das Wandbild
in der Nische wurde öfters ausgewechselt und
konnte gelegentlich verbannt werden. In diesen
reinen Raum, der nur durch seine Grund-Propor-
tionen, die Aufteilung der beweglichen Wand-
flächen und die Felder des Bodenbelags wirkte,
wurde je nach dem Bedürfnis des Tages und der
Stande die Einrichtung hinein improvisiert. Kleine
niedere Tische, Geschirr, Sitzkissen, Lampen
Bettzeug, die in besonderen Gelassen des Schach-
telhauses aulbewahrt wurden, wurden herein ge-
tragen. Alle raumempfindlichen europäischen Be-
obachter stimmen überein, daß diese Dinge dann
immer so genau »am rechten Platz« standen.

In Japan hat sich in den letzten Jahrzehnten
der Habitus des Wohnens ein wenig europäisiert;
man baut Möbel ein, hat feste Lichtanlagen usw.
Bei uns hingegen darf der Sinn der Zimmer-Ein-
richtung als eines »starren Gefüges« wohl als
überwunden betrachtet werden. Der »Raum an
sich« gilt heute mehr als der Raum als Grundlage
der Einrichtung. Wir haben weniger Einrichtungs-
gegenstände; die Möbel sind leichter. Ein neuer
Sinn für das Improvisatorische, Wendige und Be-
wegliche ist aufgekommen, für schnittige Linien,

fritz gross- wien. wandleuchter im speisezimmer Dr. b.

einfach-aufgeteilte Flächen, klare geometrische
Formen, schlichte, verrückbare Gegenstände, die
sich leicht in die Raumschwingung und -Spannung
einpassen. Und dementsprechend wird allmählich
auch das Lebensgefühl des Wohners, sein Raum-
Empfinden, seine Wohn-Sinnlichkeit elastischer,
freier, bewegter und leichter. . hans schiebelhuth.
 
Annotationen