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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 46.1935

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Der Baumeister und seine menschliche Substanz
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https://doi.org/10.11588/diglit.10947#0069

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DER BAUMEISTER UND SEINE MENSCHLICHE SUBSTANZ

ill man Abbildungen von Werken heutiger Ar-
chitekten mit einführenden Worten begleiten, so
wird es sich dabei oft nicht um eine eingehende Würdi-
gung dieser einzelnen Werke und auch nicht um eine
abschließende Würdigung des bisherigen Gesamt-
werks dieser Architekten handeln können. Der Worte
über zeitgenössische Architektur sind in den ver-
gangenen Jahrzehnten genug gepredigt worden, und
wo sie sinnvoll waren, haben sie ein breites Publikum
zum Sehen architektonischer Ansichten und zum
Begreifen von Architekturwerken selbst erzogen. Der
redende und propagierende Begleiter des Architekten
darf heute zurücktreten hinter den Werken selbst,
deren Abbild sprechen soll.

Unter solchem Bedacht werden einführende Worte
nur die Atmosphäre vermitteln wollen, unter der
diese Bauten gewachsen, aus der heraus sie ent-
worfen waren. Und zwar nicht so sehr die lokale oder
die künstlerische Atmosphäre. Diese wird aus den
Bildern rasch als eine lebendige und dabei immer
formbewußte ersichtlich sein, und jene wird leicht be-
greifen, wer Bauten mit dem Boden, auf denen sie
stehen, zusammen zu sehen gelernt hat. Nein, hier
gilt es, jene menschliche Atmosphäre zu umreißen,
die dem Werk das innere Gewicht verleihen, die ihm
über lokale Gebundenheit und künstlerische Be-
stimmtheit hinaus jene Züge einverleiben, die blei-
bende Werte garantieren.

Der Architekt unserer Zeit, den die letzten Jahr-
zehnte geformt haben, der aus ihnen seine Entwick-
lung genommen und der ihnen seine Antworten
lebendig zurückgegeben hat, war oft in Gefahr, sich
selbst zu entgleiten. Richtungen wogten hin und her,
und gerade den lebendigen unter den zeitgenössischen
Architekten haben sie am stärksten bewegt. So sehen
wir in der Reihe der heute im besten Schaffen Stehen-
den manchen, dessen Spur im Zickzack verläuft, der
über oft merkwürdige Seitensprünge zum mehr oder
weniger sichern Stil seiner heutigen Arbeiten gelangt
ist. Die Launen der Zeit, Geschmack und Moden,
hatten ihn hin und her gerissen. Und je stärker seine
Begabung war, um so stärker prägte er die jeweilige
Richtung aus. Spätere Geschlechter werden in diesem
unruhigen Verlauf der Architekturentwicklung un-
serer Tage das manchmal bis zum Krampfhaften vor-
getriebene Suchen dieser Zeit nach neuen Werten
würdigen oder verurteilen, je nach ihrer Stellung
zum lebendigen Atem des Schaffens.

Aber gerade den späteren Geschlechtern wird jenes
Vielerlei der Regungen doch auch wieder mehr sich
zusammenschließen zu einem einheitlichen Bild.
Grundlinien werden sich durchprägen, denen alle
diese Sonderstrebungen letztlich doch verpflichtet
sind. Als die Träger dieser Grundlinien werden sich
aber nicht solche hurtigen Begabungen mit schnellem

künstlerischem oder auch nur geschmacklichem Zu-
griff herausstellen, die im Kampf des Tages so manch-
mal den Sieg davongetragen hatten, sondern vielmehr
jene andern, die - schwereren Blutes und gesichert
durch eine fülligere Substanz - der Bewegung unserer
neuen Baukunst die breiten und sicheren Fundamente
schufen, über denen sich zuletzt eine instinktsichere
und willensstarke Gestaltung erheben konnte.

Das ist es, was wir unter »menschlicher Atmo-
sphäre« verstehen: dieses Geborgensein in kraftvoller
menschlicher Substanz, die allem Hin und Her der
Tagesmeinungen ein natürliches Schwergewicht si-
chert und in - meist unbewußter - Verantwortlich-
keit jeder geistigen Regung, sei es der künstlerischen,
sei es der abstrakt gedanklichen, die unumgängliche
Stoßkraft sichert. Von solcher Substanzhaftigkeit des
Schaffens ist man zu sprechen verlockt, wenn man
ans Werk der Besten dieser Zeit herantritt.

Man mißverstehe uns nicht: solche Substanzhaftig-
keit ist nicht der Gegensatz von Begabung, im Gegen-
teil: sie ist deren Halt und Bewährung. Vorstöße einer
reichen architektonischen Begabung und Planungen
von kühnstem Wurf wird man gerade bei solchen
substanzhaften Baumeistern zur Genüge finden. So-
fort aber wird an ihnen der sichere Griff, das starke
Gehaltensein am Wirklichen überzeugen, was nun
einmal und immer das A und O guter Architektur ist.
Denn wirkliche Architektur ist ja nicht nur Idee
und Projekt, sie ist Verwirklichung. Sie ist harte Aus-
einandersetzung mit Gegebenheiten und Wünschen,
über die der Planende nicht Herr ist, denen er sich
beugen muß und denen so mancher großgesinnte
Baumeister unterlegen ist. Was an manchem reichen
Werk heutiger Baukunst erfreut, ist nicht zuletzt die
Ausprägung eines besonders glücklichen Charakters,
der substanzgebunden an Forderungen der Wirklich-
keit herangeht und so ihnen das Schwergewicht einer
art- und sachgemäßen Prägung einzubauen vermag.

, Dr. r. r.

ES IST FÜR EIN BAUWERK nicht vonnöten,
daß es zu kraß damit prahlt, ein Produkt der
mechanistischen Ära zu sein. Es muß das sein —
aber ein Künstler nimmt diese Bedingungen in seine
Hände und macht aus den harten Tatsachen der
Struktur nicht geringere Tatsachen, aber wahr-
haftigere dem Leben gegenüber; er bringt das Ganze
zum Blühen auf Stiel und Stengel, so natürlich, wie
Blumen tun, — und so selbstverständlich! wrioht



DAS BAUEN ALS SINNBILD des sozialen Ge-
meinschaftslebens: Alle brauchbaren Menschen
sollen in der gleichen Beziehung untereinander stehen,
wie sich der Bauherr nach dem Architekten und dieser
nach Maurer und Zimmermann umsieht. ooethe
 
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