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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 46.1935

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Vockerat, Philipp: Die "Geteilte Wohnung", [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10947#0201

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DIE »GETEILTE WOHNUNG

(Schluß aus Heft 5)

Das Schlafzimmer als gesondertes Raumindivi-
duum hat sein Traumdasein aus der bürger-
lichen Epoche im großen ganzen ausgeträumt.

In meiner Jugend gab es in Berlin nur eine einzige
Wohnung, die kein Schlafzimmer enthielt und die
wegen dieser erstaunlichen Eigenschaft berühmt war.
Das war in der Landgrafenstraße die Behausung des
vortrefflichen Ludwig Pietsch, des weitbekannten
Schriftstellers, Zeitchronikeurs und Kunstkritikers.
Die Höhepunkte im häuslichen Leben der Familie
Pietsch waren die Sonntage, an denen großer Emp-
fang war. Was immer in Berlin in Kunst, Wissen-
schaft, Gesellschaft, Diplomatie, höherem Beamten-
tum einen Namen hatte, fand sich dazu ein. Es war
ein Gedränge, daß die Wohnungstür meist geöffnet
bleiben mußte und die Gruppen der plaudernden
Gäste, wenn nicht gerade ein Musiker von Rang am
Flügel oder in dessen Umkreis die Anwesenden be-
schenkte, bis ins Treppenhaus vorquollen. Um solchen
fröhlichen Andrang zu bewältigen, der den letzten
Ausklang der berühmten altberlinischen Salons dar-
stellte, mußten natürlich alle Zimmer der Wohnung
herhalten. Da konnte man keine Schlafzimmer ge-
brauchen. Die ganze Familie wie ihre häufig vor-
handenen Logiergäste, an der Spitze der alte Pietsch
selbst, der auch als Mann von 85 Jahren von solcher
Gewohnheit nicht ließ, übernachtete auf Sofas und
Chaiselongues, die abends schnell mit Bettzeug für
die Nacht hergerichtet wurden. Es war eine Aus-
nahmefamilie, die mit jeder Lagerstatt zufrieden war
und überhaupt nicht viel Schlaf brauchte. Ludwig
Pietsch genügten ein paar Stunden auf der Chaise-
longue; dann eröffnete er, etwa um 5 Uhr morgens,
im Badezimmer (übrigens in kaltem Bad) den
Reigen . . .

Was diese Schriftstellerleute in einer stabil ge-
wordenen Bohemienlaune durchführten, ist heute,
allerdings aus anderen Gründen und in anderen
Formen, Volksgewohnheit der ganzen aufsteigenden
Generation geworden. Das Bett ist tot, es lebe die
Couch - denn das altvaterische Sofa, wie seine Ge-
nossin, die Chaiselongue, behauptet sich ja nur noch
mit Mühe; immerhin ein Verlust an häuslicher Ge-
mütlichkeit. Schränke für Kleider und Wäsche wer-
den grundsätzlich nicht mehr benötigt, sie haben
sich, wo es irgend geht, in die Wände zurückzuziehen,
wie es der Wiener Architekt Alfred Loos schon vor
Jahrzehnten unerbittlich verlangte. Auch ein kleines
Möbelstück, das einst unentbehrlich schien: das
Nachttischchen, flog über Bord; das nachwachsende
Geschlecht braucht es nicht mehr. Für Toilettentische
und sonstigen Schnickschnack dieser Art besteht in
der heutigen Kleinwohnung nur selten Nachfrage.

1935. vi. 2

Aber nun heißt es, mit Feingefühl für den Raum
oder die Räume, die nun doch als Schlafgemächer
dienen müssen, die Gestaltung und Stimmung zu
finden, die ihrem Nachtberuf entsprechen, und dies
mit dem Tagesberuf der gleichen Zimmer in Einklang
zu bringen. Die neue Generation von heute und
morgen ist zwar nicht sentimental. Sie ist auch nicht
nervös. Es genügt ihr schon, wenn sie nur eine Ge-
legenheit hat, von der Arbeit des Tages auszuruhen.
Aber ein bißchen kann man schon auch bei der
größten Raumbeschränkung für die Atmosphäre der
Räume sorgen, in denen diese Erquickung vor sich
gehen soll.

Vielleicht kann hierbei, wie auch sonst bei der Ein-
richtung der kleinen Wohnungen, die Methode be-
hilflich sein, sich nicht allzusehr und ganz ausschließ-
lich dem Zeitstil zu verschreiben. Kein Wort gegen
die vorzüglichen Leistungen der modernen Innen-
kunst! Davon bin ich weit entfernt. Heute weiter als
je vorher, nachdem der neue Stil des 20. Jahrhunderts
seine wilden Jugendjahre hinter sich hat. Selbstver-
ständlich ist auch mit den umständlichen und an-
spruchsvollen Möbeln des vorigen Jahrhunderts, die
unter anderen wirtschaftlichen Verhältnissen ange-
schafft wurden, nicht mehr viel anzufangen. Aber
man versuche es einmal, dies oder jenes sorgsam aus-
gewählte kleinere Erbstück von anständiger Qualität
mit den zeitgemäßen Dingen zu untermischen, und
man wird gute Wirkung verspüren. Ich sehe mich in
meinem Arbeitszimmer um und bemerke neben
kastenartig gearbeiteten Bücherschränken und einem
Schreibtisch im Geschmack der Gegenwart einen
Spiegel aus der Hochzeitseinrichtung meiner Urgroß-
mutter Anno 1807, zwei Sessel aus dem Salon meines
Großvaters, denen nur ein paar Schnörkel an der
Rücklehne abgesägt werden mußten, finde neben
Bildern und Graphiken der letzten beiden Jahrzehnte
ein Porträt meines Vaters aus dem Jahr 1878 und
einen Fries von Handzeichnungen deutscher Meister
des endenden 18. Jahrhunderts. Ich kann versichern,
es geht ausgezeichnet. Redliche Kunst der verschie-
densten Zeiten verträgt sich ohne weiteres ge-
schwisterlich. Man lächle nicht über die Stücke, die
an die Vergangenheit mahnen. Sie bringen einen
feinen Klang von persönlicher Beziehung zu unserem
eigenen Werden mit sich, und sofort schwindet jeder
Eindruck der Kühle, des Theoretischen, des Allge-
meingültigen. Es ziehen sich vom Einst zum Heute
zarte Fäden, die eine unwägbare, schwer zu defi-
nierende Stimmung hervorrufen.

Gerade in den kleineren Zimmern, in der Raum-
knappheit der »geteilten Wohnung« sind solche Im-
ponderabilien von höchstem Wert. Philipp vockerat
 
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