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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 46.1935

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Reschovsky, Edwin: Natur im Heim
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https://doi.org/10.11588/diglit.10947#0301

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NATUR IM HEIM

VON ARCHITEKT 1NG. EDWIN RESCHOVSKY

Die breiten, oft in Form eines liegenden Recht-
eckes angeordneten Fenster unserer modernen
Wohnräume, die das Tageslicht in unbehinderter
Fülle in den Raum strömen lassen, ermöglichen es
dem Städter in geradezu idealer Weise, innerhalb sei-
ner vier Wände das Werden und Wachsen der Natur
zu erleben und gleichzeitig für den Wohnraum eine
stets freundlich wirkende Belebung zu schaffen. Or-
ganisches Leben bildet die naturgemäße Ergänzung
des Lichtes, und deshalb war der Platz im Fenster seit
jeher der beliebte Aufstellungsort für blühende und
Blattpflanzen aller Art.

Auch die Pflanzen, mit welchen man das Zimmer
schmückt, haben ihre Geschichte und ihre Mode, eine
Mode, die abhängig ist von dem jeweils herrschenden
Stil und der Farbenstimmung, die erreicht werden soll.

Die Biedermeierzeit, die auf helle Farbtöne einge-
stellt war, liebte an den weißgestrichenen, mit leich-
ten weißen Gardinen versehenen Fenstern ihrer
Wohnstuben vorzugsweise blühende Pflanzen, wie sie
die zeitgenössischen Maler auf zahlreichen Blumen-
bildern darstellten: die einfach und gefüllt blühenden
Tulpen und Hyazinthen, Hortensien und Pelargonien,
Nelken und Narzissen. In den Blumen erblickte man
das tiefste Mysterium der Farbe, das Symbol der un-
erschöpflichen Gestaltungskraft der Natur. »Die ganze
Natur ist Sprache«, sagte Bettina von Arnim, »und die
Blume ist ein Wort, ein Ausdruck, ein Seufzer aus
ihrer vollen Brust.« Der Natur innigst verbunden und
voll andächtiger Liebe zu ihren Schöpfungen, wollte
man sie auch im Wohnraum nicht missen, und des-
halb pflegte der Blumentisch, meist ovaler Form, in
Mahagoni oder Palisander, eine selten fehlende Er-
gänzung des Biedermeiermobiliars in lichtem Kirsch-
holz zu bilden.

In der darauffolgenden Zeit des sogenannten »Re-
naissancismus«, die bei ihren Wohnungseinrichtun-
gen auf den Renaissancestil zurückgriff, bevorzugte
man für den Wohnraum durch schwere Vorhänge
stark gedämpftes Licht und dunkle Farben. Türen
und Fenster wurden braun gestrichen, helle unge-
brochene Farben waren ausgeschlossen, und damit
verschwanden auch die blühenden Pflanzen aus den
Wohnzimmern. Nun wurde die Palme mit dem dunk-
len Grün ihrer Blätter die Modepflanze der Zeit, sie
fügte sich, selbst südlicher Herkunft, am besten in
die vorzugsweise im italienischen Renaissancestil ge-
haltenen Interieurs ein. Auch getrocknete Palmen-
blätter, zusammen mit Gräsern und Rispen der 'süd-
lichen Flora, wurden als Zimmerschmuck in hoher
Fayencevase gerne verwendet und bildeten in dieser
Form das berühmte »Makartbouquet«.

Mit der Mode des Renaissancestiles verschwand
seit dem Beginn des jetzigen Jahrhunderts die Palme

immer mehr aus unseren Wohnräumen, die immer
heller und in der Farbgebung lichter wurden. Wir
sind zurückgekehrt zu den weißgestrichenen Fenstern
der Biedermeierzeit, an welchen es wieder blühende
Pflanzen in Gelb, Rot, Blau und Weiß, sowie Blatt-
pflanzen von hellem, leuchtendem Grün gibt, für die
Industrie und Gewerbe Blumentische und Etageren von
oft sehr zweckmäßiger Form schaffen. Auch das Blu-
menfenster moderner Konstruktion, eine Art Glashaus
im kleinen, erfreut sich zunehmender Beliebtheit.

Mit den modernen, glatten Möbeln und deren
streng geometrischen Formen kam die Mode der Kak-
teen auf, jener aus kargem Boden stammenden Ge-
wächse, die neben einer einfachen Umrißlinie oft sehr
reizvolle geometrische Motive in der Gruppierung
ihrer Stacheln zeigen.

Die lebende Dekoration unserer Räume beschränkt
sich jedoch heute nicht nur mehr auf die Pflanze
allein, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse un-
serer Zeit ermöglichen eine besonders reizvolle Ver-
bindung von Pflanze und Tier zu einer naturgemäßen
Lebenseinheit. Eine solche Lebenseinheit stellt das
moderne Zimmeraquarium mit tropischen Wasser-
pflanzen und Fischen dar, dessen dekorative Werte
am Fenster des Wohnzimmers noch viel zuwenig
gewürdigt sind. Mit Hilfe von einigen Wasserpflan-
zen, Tuffsteinen, Kies, Sand und Wasser sind wir
imstande, lebende Bilder unter Glas zu schaffen,
Unterwasserlandschaften von märchenhafter, selt-
samer Schönheit, belebt durch die leuchtenden Far-
ben exotischer Fische: der indischen Zebrabarbe mit
stahlblauen Längsstreifen auf silbernem Grunde, im-
mer in Bewegung, immer in anmutigem Spiel mit
ihresgleichen, des Mondfisches aus dem Amazonen-
strom mit samtschwarzen Querbändern auf plattem,
perlmutterartig schimmerndem Leib, des Schleier-
schwanzfisches mit lang herabwallender, schleierarti-
ger Schwanzflosse, den der Züchterfleiß des Chinesen
in jahrhundertelangem Bemühen aus dem Goldfisch
zog, und vieler anderer.

Auch das Terrarium gestattet es, in glasumschlos-
senem Raum lebende Bilder zu erstellen, aus tro-
pischen Pflanzen, Tuffsteinen, Moos und schling-
pflanzenumrankten Wurzeln bizarrer Form gebildet
und durch smaragdgrün schillernde Eidechsen belebt.

Die vollkommenste Form jedoch, in der sich die
Liebe zur Natur im Rahmen des Heims erfüllen kann,
stellt der moderne Wintergarten dar, der grüne und
blühende Pflanzen, die Farbenpracht tropischer Fi-
sche und den Gesang munterer Vögel in sich vereinigt
und in dessen wohltemperierter Atmosphäre man sich
und seinen Gästen inmitten der Rauheit eines nor-
dischen Winters für einige Stunden die angenehme
Illusion eines Rivieraaufenthaltes geben kann. E. R.
 
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