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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 46.1935

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Ritter, Heinrich: Tschechische Raumgestaltung der Gegenwart: zu den Arbeiten von Vladimir Grégr, Prag
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https://doi.org/10.11588/diglit.10947#0396

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TSCHECHISCHE RAUMGESTALTUNG DER GEGENWART

ZU DEN ARBEITEN VON VLADIMIR GREGR-PRAG

Eine höchst eigenartige Formenwelt tut sich auf in
den Raumgestaltungen des jungen Prager Archi-
tekten Vladimir Gregr; eine Formenwelt, die deut-
lich ihre Herkunft aus einem bestimmt geprägten
völkischen Wesen verrät. Sie ist durch diese ihre Her-
kunft dem deutschen Empfinden von heute zugleich
nahegerückt und entfremdet. Nahegerückt, weil sie
aus jenen völkischen Formantrieben schöpft, die wir
grundsätzlich als die einzig tragfähigen Grundlagen
aller Gestaltung anerkennen; entfremdet, weil es
eben eine andre Seelenregung als die deutsche ist,
aus der sie aufsteigt. - Das Problem, das sich hier
stellt, wird in der Kunst künftighin noch öfters vor
uns treten; das Problem nämlich, daß wir vor Lei-
stungen gestellt werden, die von der Seite der künst-
lerischen Qualität her einen Anspruch an uns haben,
gegen die wir uns aber, als in deutsches Geistesschick-
sal gebunden, doch zugleich abgrenzen müssen. Das
läuft auf die Frage hinaus, ob jener Wert der »künst-
lerischen Qualität« (also der Durchsetzung des Geistes
im Stoff, der Gestaltungskraft, der Arbeitstreue) für
uns auch in Zukunft einen »Wert« bilden wird, über
die nationalen Grenzen hinaus. Diese Frage stellen,
heißt sie bejahen. Weder die künstlerischen Hoch-
leistungen der antiken Völker noch die treue blut-
gebundene Gestaltungsarbeit der neuzeitlichen Völker
verfällt der Ablehnung vor der neuen nationalen Ge-
wissenschärfung in der Kunst. Alles, was Charakter
hat, das heißt alles, was biologisch gültige Lebens-
bindung hat, müssen wir, wofern es das Qualitäts-
zeichen trägt, bejahen — nicht, um daran in unsrer
nationalen Form zu erweichen, sondern um dieser
Form erst recht bewußt zu werden und sie desto
tapferer voranzutragen. Schlechter Internationalis-
mus, der mit ausgebluteten, natur- und wachstums-
fremden Formen einherkommt, wirkt erschlaffend;
was Charakter hat, ruft auch im Beschauer Charakter
hervor. Der Wettbewerb der Völker wird durch den
nationalen Gesichtspunkt nicht ausgelöscht, sondern
in seinen Voraussetzungen bereinigt und in seinem
Nachdruck verstärkt.

Als hochwertige und zugleich als volksgebundene
Arbeit tritt Vladimir Gregrs Raumgestaltung vor uns.
Worin liegt das Hochwertige ? - Im kühnen freien
Zugriff der Gestaltung, in der Beschwingtheit der
Formgebung, in der überlegenen Handhabung der
Mittel, mit denen eine geistig-seelische Kraft die
Werkstoffe zu Ausdrucksträgern macht; in der flüs-
sigen Sprache, in der allbereiten Phantasie, im über-
zeugenden Wohllaut dessen, was sich hier als Linien-
führung, als Aufbau, als Farbenzusammenhang vor
den Blick stellt. Die Volksgebundenheit dieser Arbeit
steht zwar deutlich vor der Empfindung, aber es ist
natürlich viel schwerer, sie ins Wort zu fassen. Viel-

leicht dürfen wir sagen, daß die besondere Ausdrucks-
geladenheit der Geräteformen, die Kurven und Aus-
ladungen, ferner die slawisch weichen, pflanzlichen
(pilzartigen) Formen der Polstermöbel, überhaupt die
ausgesprochen gefühlsgetränkte Melodik in diesen
Raumschöpfungen uns Empfindungen der Abgren-
zung nahelegt auf der Linie des völkischen »Du dort
— ich hier«. Formen wie die Sesselkonstruktionen
mit ihren kufenartigen Stützen und der handwerk-
lich so vorzüglich bewältigten Führung der Polster-
schwellungen stehen zum deutschen Gefühl für das
handwerklich Nächstliegende in einem gewissen
Widerspruch. Wir teilen die Sensibilität nicht, die
sich hier ausspricht, wie uns auch die feierliche Auf-
machung eines Likörschranks oder die zwar prak-
tische aber struktiv nicht recht einleuchtende Ver-
bindung von Sofa und Grammophontisch oder das
Herausgehen aus der rechtwinkligen Teppichform
fremdartig, zum Teil überzivilisiert, berühren. Solche
Dinge liegen für uns, die wir mit Leben und Lebens-
gestaltung von neuem »auf den Grund« zu kommen
suchen (weil die mangelnde Fühlung mit dem Grund
die Krankheit unsrer Kultur ist), in einem phantasti-
schen Abseits. Dafür wird die malerische Gestaltung
einer Trinkstube im Dachgeschoß, die auf Dinge der
Volkskunst und des Volkslebens zurückgreift, man-
ches Anziehende für uns haben. Wir erkennen die
Ausdruckskraft an, die sich bei Gregr überall zum
Worte meldet, und namentlich wird seine freie,
zügige Gestaltung, die sich lustvoll in der Welt der
Geräteformen regt und fast immer Überzeugendes
hervorbringt, unsre Zustimmung finden. Das gilt
auch von seiner Art, den Raum gelegentlich archi-
tektonisch zu bewegen, ihm durch plastische Model-
lierung der Decke und der Wand eine zusätzliche
Schwingung zu geben. Da schalten sich Zwischen-
decken ein oder baldachinartige Absetzungen, die an-
regende Möglichkeiten für indirekte Beleuchtung
bieten. Als Vorstoß in Neuland, als kühnen Versuch,
wird man das gelten lassen können. Auch wo Gregrs
Räume sich in einfachen, zweckbestimmten Formen
bewegen — wie zum Beispiel in den abgebildeten
Sitzungssälen — zeigen sie nirgends tote oder matte
Stellen. Etwas Frisches, Jugendliches macht sich
überall geltend. Seine Form hat Temperament, sie
ist reich an Einfällen. Man folgt ihr gern. Sie betet
den Zweck nicht an, aber sie erfüllt ihn und denkt
dann an Freiheit und geistiges Spiel.

*

Vladimir Gregr entstammt einer angesehenen alt-
eingesessenen tschechischen Familie. Sein Urgroß-
vater Josef Gregr war Ingenieur und Forstwirtschaft-
ler; die berühmten Waldgüter der Stadt Pisek in
Böhmen sind von ihm geplant und angelegt worden.
 
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