Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 46.1935

DOI Artikel:
Hildebrandt, Hans: Von der Mühle zur Weltfirma: der Weg der württ. Metallwarenfabrik Geislingen-Steige
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10947#0425

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
INNEN-DE KOR AT ION

411

silberter Nutz- und Ziergeräte auf galvanischem
Weg befaßte. Die neunziger Jahre brachten ansehn-
liche Erweiterungen. Zunächst glückte die allerdings
erst im letzten Jahrzehnt zu höchster Vollkommen-
heit entwickelte Erfindung, Eßbestecke so zu ver-
silbern, daß die der Abnutzung am meisten ausge-
setzten Teile verstärkten Edelmetallbelag erhielten.
Es folgte die Verpflanzung der Galvanoplastischen
Kunstanstalt von München nach Geislingen, deren
Verfahren getreueste Wiedergabe von Bildwerken in
den Originalmaßen wie in jeder beliebigen Vergröße-
rung oder Verkleinerung gestattet, es folgte durch
Eingliederung einer Göppinger Metallwarenfabrik die
Erstreckung der Produktion auf Gegenstände aller
Art aus Kupfer, Messing, Zinn und Nickel. Schon im
Jahre 1883 richtete sich die WMF auch eine eigene
Glashütte ein, um die mit ihren Metallwaren zu ver-
knüpfenden Glasteile nicht von auswärts beziehen
zu müssen. So hatte die quantitative Erzeugung für
In- und Ausland bereits 1914 einen Höhepunkt er-
reicht. Und mit ihr die Sorgfalt und Gediegenheit der
technischen Ausführung, die jenen Welterfolg recht-
fertigten. Nicht zugleich die künstlerische Durch-
bildung, woran freilich die Kundschaft mit die Haupt-
schuld trug. Verlangte die breite Masse aller Volks-
schichten schon in Deutschland, wo immerhin eine
Klärung des Geschmackes sich anbahnte, nach
reichen, ornamentstrotzenden Gebilden auch bei
Dingen täglichen Gebrauchs, so konnte man sich
anderwärts, vorab in den Ländern des Balkans, des
Orients und Südamerikas, an Überladung kaum er-
sättigen.

Ein neues, fruchtbares Wirken begann für die
WMF, als im Jahre 1927 Dr.-Ing. h. c. Hugo Debach
die Generaldirektion übernahm und sich mit einem
Stabe von Mitarbeitern umgab, die bereit und be-
fähigt sind, seine weitschauenden Pläne verwirk-
lichen zu helfen. Debach glaubt an die Erziehbarkeit
des kaufenden Publikums durch klare Einsicht und
starken, zielbewußten Willen. Der Käufer soll wohl
erhalten, wonach er insgeheim verlangt. Nur nicht
eben so, wie er es sich auf Grund eingewurzelter Ge-
wohnheit vorstellen möchte, sondern in geläuterter
Form, die zweckmäßiger und schöner in einem ist.
Von der jahrzehntealten Überlieferung des Unter-
nehmens blieben als wichtiges Erbe bewahrt die in
langem Umgange mit den verschiedensten Stoffen an-
gesammelten technischen Erfahrungen und der ver-
antwortungsbewußte Grundsatz, nur Waren von ge-
diegenstem Material und sorgfältigster Ausführung
zu bieten. Auf gefestigtem Boden erhebt sich der
Bau des neuen Wirkens. Ein Strom von Schöpfer-
freude durchzieht die WMF von der obersten Leitung
bis zum letzten Arbeiter. Denn immer wieder werden
bisher ungekannte Verfahren entdeckt, Materialien
mit besonders günstigen Eigenschaften geschaffen,
neuartige Formen gestaltet, Dinge hergestellt, die
ein noch gar nicht ausgesprochenes, doch tatsächlich
vorhandenes Bedürfnis schon befriedigen. Was hat

die WMF nicht alles innerhalb der letzten Jahre auf
den Markt geworfen! Warengattungen, die sie be-
reits früher erzeugte, aber nun in verwandelter Form,
wie versilberte Nutz- und Ziergegenstände, dazu
solche aus reinem Silber, aus Edelzinn, Nickel, Kupfer
und Messing mit allerhand neuerfundenen Patinie-
rungen feinster Tonstufen, versilberte und massiv-
silberne Bestecke, galvanoplastische Wiedergaben
von Bildwerken und Schöpfungen alten Kunsthand-
werks, Bronzegüsse in Wachsausschmelzverfahren
usw. Allein wieviel trat noch hinzu! Da ist unter den
Metallwaren das weite Gebiet des Küchengerätes für
den Familienhaushalt wie für Großküchen von Hotels,
Krankenhäusern und Sanatorien bis zu Kaffeema-
schinen, die mehr denn 500 Tassen in der Stunde
liefern - ferner alles, was zu dem gedeckten Tisch an
praktischen und schönen Dingen gehört einschließ-
lich seines Schmuckes mit Kerzenhaltern, Blumen-
ständern und -schalen — da sind Metallbuchstaben
für Werbezwecke, entworfen von ersten Schrift-
künstlern - kostbar würdige Geräte für den Gottes-
dienst, oft mit Einlagen aus Email oder Glasflüssen -
zierliche Schmuckstücke für die Frau, Armbänder,
Halsketten, Anhänger und Ringe - reizvolle Halter
zum Aufstellen von Fotos. Beleuchtungskörper aller
Art, Lampen für Eß-, Schreib- und Nachttische, Steh-
lampen, Scheinwerfer und Deckenstrahler, Hänge-
leuchter und Deckenleuchter, teils für Wohnräume,
teils für Cafes, Büros, Fabriksäle usw. Da Lampen
für das vornehme Heim auch in Ikora-Kristall herge-
stellt werden, gelangen wir mit den Beleuchtungs-
körpern zu den Erzeugnissen der Glashütte, die heute
gleichberechtigt neben die Metallwaren der WMF
treten. Voran das in jahrzehntelangen Versuchen von
Dr. Debach erfundene und vervollkommnete »Ikora-
Edelkristall«, brauchbar für Schalen und Vasen jeder
Größe, für Schmuckstücke, für Ziereinlagen in Dosen
und Kästchen. Kristallglasgarnituren sodann, hier
für den gedeckten Tisch, dort für das Toilettezimmer
der Dame, dünnwandig, in der Masse durchgefärbt
als rötliches Salmkristall, als blaues Azurkristall, als
rauchfarbenes Topas-, als irisierendes Myra-Kristall.
Endlich dickwandige Kristallvasen, -schalen, -becher
und -Schüsseln, einfarbig oder mit Überfang einer
zweiten, zum Grundton feinstabgestimmten Farbe,
durch phantasiereichen Schnitt veredelt.

Bei Herstellung eines Gegenstandes aus Ikora-
Kristall bleibt der Arbeiter auf sein eigenes Gefühl
für Form und Farbe verwiesen, und was er hervor-
bringt, ist etwas Einmaliges, Niewiederkehrendes. So
wird auch er in das schöpferische Wirken der WMF
einbezogen. Doch nicht nur der Glasarbeiter. In der
Produktion aller Gattungen wechseln hier Arbeits-
vorgänge, die mit der Maschine zu bewältigen sind,
mit solchen, die der Hand und der Intuition bedürfen.
Die bei der heutigen Warenerzeugung so schwer-
wiegende Frage: Handwerk oder Maschine? - sie
scheint in der WMF auf eine Weise gelöst, die jedem
das Seine beläßt. — prof. dr. hans hildebrandt
 
Annotationen