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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 48.1937

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Rüdenauer, Adolf C.: Über Wesen und Ziel deutscher Wohnkultur
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https://doi.org/10.11588/diglit.10944#0357
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INN EN-DEKORATION

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Wesensfremde Dinge aufzunehmen, heißt sich
selbst verleugnen und bedeutet die Preisgabe wahrer
Wohnlichkeit. Man erlebt sich selbst in den not-
wendigen Dingen seiner Wahl, und man bedenke,
daß alle Eleganz unauffällig ist. Die zukünftige Wohn-
form wird nicht die schmucklose Erstarrung im
Kubus bringen, sowenig wie das sinnlos wuchernde
Ornament und zuletzt das gewollt Dekorative, son-
dern die schöne Selbstverständlichkeit künstlerisch
und zweckmäßig disziplinierten Werkstoffes. Es gilt
auch, deutsches Holz mit seiner schlicht-reizvollen,
naturgegebenen Struktur immer häufiger einzusetzen
und als das zu belassen was es ist: Naturprodukt!

Mit Schaudern erinnern wir uns an die unlängst
verlassene »hochherrschaftliche« 6-, 8- oder 10-Zim-
mer-Wohnung. Zwischen der öden Pracht hoher meist
verstaubter Draperien und verkachelter Ofenburgen
eilt im Geist das frierende Ich durch eine Flucht ver-
lassener Räume. Hastig öffnet es die hohe Flügeltür
(mit durchgesackten Füllungen; durch die Fugen
schimmert das Licht) und rettet sich in das einzig ge-
heizte Zimmer. Hinter ihm bröckelt der Stuck. -
Auch da steht ein wahrer Moloch, üppigen Kohlen-
tribut fordernd von den armen Menschlein, die sich
vor der scharfen Winterkälte hieher geflüchtet haben.
Alle Repräsentationsgelüste sind verflogen. Es ver-
steht sich plötzlich von selbst, daß unerwarteter

SESSEL« BIRNBAUM SCHWARZ, GRAUWEISSER WOLLSTOFF

MODENHAUS H. »VITRINE» ENTWURF: ADOLF C. RÜDENAUER

Besuch nicht im eiskalten »Salon« Platz nimmt.

Damit soll gesagt werden, daß wir uns offen zu
einer zweckmäßigeren Lebensauffassung bekennen
sollen, das heißt: Wenn wir uns mutig von den Groß-
artigkeiten einer überholten Zeit trennen, so bedeutet
dies ballastfreie Einkehr in die vielleicht kleinere,
aber lichtdurchflutete, neuzeitlich ausgestattete Neu-
bauwohnung oder in das mit allen technischen Neue-
rungen versehene eigene Haus.

Wir kommen ferner zum Kombinationsprinzip,
das heißt: Gegenstände auf ihre absolute Verwend-
barkeit zu prüfen und nur das vorzusehen, was für
die täglichen Lebensvorgänge notwendig wird. Was
wir wollen, ist die Auflockerung der Wohnform -
die Entspannung der Materie. Wir wehren uns gegen
die »Garnitur« - gegen alles Komplette —, gegen ein
totes Schema, das uns stumpf machen würde gegen
die kostbare und fließende Vielfältigkeit des Lebens.

Abschließend wäre noch zu sagen: Nicht das, was
man in so manchem Möbelladen sieht und was als
»modern« angepriesen wird, ist in wohnkulturellem
Sinne richtig und gut - nein, es müssen schon künst-
lerische, verantwortungsbewußte Kräfte Hand an-
legen, um Möbel, um Gebrauchsgeräte und nicht zu-
letzt einen Raum durchzubilden. Deutsches Material,
deutscher Formergeist und deutsche Technik warten
immer noch auf das Verständnis und die Bereitwillig-
keit breiterer Schichten unseres Volkes. - A. c. R.
 
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