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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Ritter, Heinrich: Drei Stützpunkte...
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0362

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348

INNEN-DEKO RAT ION

DREI STÜTZPUNKTE . . .

Möbeldienste sind Kräfteleistungen, und Kon-
struktionslinien sind Kräftelinien. Aber sind sie
nicht auch etwas mehr ? Drei Stützpunkte genügen,
um einer Stuhlfläche festen Stand zu geben. Aber um
diese drei Stützpunkte her bewegt sich eine bunte, ge-
staltenreiche Kulturgeschichte des Sitzmöbels. Ka-
stenformen, Trommelformen bilden hier den Aus-
gangspunkt; anderwärts bildet sich das gefügte Vier-
bein oder der vier- bis achtstützige Faltstuhl, wie ihn
die Römer und das gotische Mittelalter gepflegt haben.
Immer wechselt der Werkgedanke, unter dessen Füh-
rung die Stuhlfläche zu ihren Stützpunkten gelangt;
und diese Werkgedanken unterscheiden sich nicht
nur in der technischen Idee, sondern auch im ethisch-
geistigen Gehalt.

Das wird deutlich in der Abfolge der historischen
Möbelstile, die wir ja immer auch auf die tiefere Be-
deutung ihrer Linien lesen - aber mehr vielleicht
noch innerhalb der Möbelgestaltung der Gegenwart,
wie sie uns formenreich vor Augen steht. Denn diese
unsere Möbelgestaltung verfügt frei über alle tech-
nischen Möglichkeiten und läßt desto klarer das Be-

sondere, das Private der Einzelleistung hervortreten.
Gewiß steht auch dieses gegenwärtige Schaffen unter
einer straffen Zeitbindung. Man wird nach 100 oder
200 Jahren die Möbel der Gegenwart ebenso sicher
nach ihrer Entstehungszeit bestimmen können — und
zwar bis auf das Jahrzehnt genau — wie wir dies heute
gegenüber dem Hausrat der Vergangenheit vermö-
gen. Man wird sie durch einen »Zeitduktus« - etwa
den der Straffheit, Glätte, Sachlichkeit und Zweck-
lichkeit — gebunden sehen, man wird innerhalb dieses-
Zeitduktus die Linie des Jugendstils, die neobieder-
meierische, die expressionistische, technizistische, hei-
matkünstlerische Abwandlung unterscheiden, selbst-
verständlich auch die reichsdeutschen und wieneri-
schen, die französischen, englischen und sonstigen na-
tionalen Ausprägungen. Aber uns, den Zeitgenossen,
stehen klarer die privaten Abstufungen vor Augen,
wie sie durch die einzelnen Künstler- und Besteller-
temperamente bestimmt werden - so, wie auch die
moderne Handschriftendeutung uns einen Zeitduktus
und einen Persönlichkeitsduktus in der Schrift unter-
scheiden lehrt. Da kommen in der Möbelformung alle
 
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