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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Gedanken über Volkskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0370

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356

INNEN-DEKORATION

GEDANKEN ÜBER VOLKSKUNST

Bildnerisches Schaffen auf der Stufe der Volks-
kunst ist echtes Gestalten - nicht »bewußtlos«, wie
manche glauben, sondern durchaus vom Geiste durch-
wirkt; nur daß das Bewußtsein in der Volkskunst fest
in der frühen Lebensbindung ruht und die »Zeichen«
unmittelbar, mit der Hand gleichsam, aus dem Brun-
nen schöpft. Es hört die Märchen unmittelbar aus dem
Leben der Natur und des dunklen Menschenherzens
heraus. Weil das Bewußtsein hier - und ohne Be-
wußtsein, ohne die Spannung zwischen Geistes-
und Vitalmächten gibt es kein Formen und Bilden -
noch atemnahe beim geschöpflichen Leben steht,
haben die volkskünstlerischen Gebilde eine gleichsam
leibliche Wahrheitsfülle, eine Blutsverwandtschaft
zur Weltwirklichkeit. Dies ist ihr Erbe, wie auch das
Kind sich im Besitz eines Erbes an Lebensechtheit
zeigt, das ihm mitgegeben ist. In der »Künstler-Kunst«
kann diese Fühlung zur Weltwirklichkeit erst wieder
auftreten, wenn das Bewußtsein der genialen Persön-
lichkeit sich sehr hoch erhebt und den unbedingten
Überblick gewinnt; dann erblickt es nämlich wieder
Lebensgründe und Lebensursprünge. Sehr hoch-

stehende, geniale Menschen nähern sich so in der
Weltschau wieder dem Kinde. Sehr hochgreifende
Dichtung kommt wieder an das Märchen heran. Auf
ähnliche Weise wird im bildnerischen Bereich der
Wert der Volkskunst sichtbar auf entwickelten Stu-
fen der Zivilisation. Dieser Wert braucht sich nicht
immer so zu bewähren, daß Ausdruck und Verfahren
alter Volkskunst neu in praktische Übung kommen
(wie es neuerdings vielfach und mit Glück im Weben
und Sticken, in manchen Bezirken der Hausrat-
kunst, der Tischlerei, Töpferei, Schnitzerei usw. ge-
schehen ist). In der Erfrischung der Formbegriffe, im
geheimen Mahnen an die Gründe erweist die Volks-
kunst dem Bilden der Enkel geistige Dienste, die wir
nicht mit Händen greifen können und die dennoch
wirksam sind. Wir kommen manchm alim tiefen Wald
an eine Quelle. Ihr Wasser speist keinen Brunnen,
treibt kein Rad; nur Rehe und von Woche zu Woche
ein Wanderer trinken daraus. Aber wir denken:
vielleicht bleibt draußen das rastlos schaffende Men-
schenleben nur gesund, weil hier in verschwiegener
Waldeinsamkeit silbern und leise die Quelle springt. -
 
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