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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 50.1939

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Henniger, Hans: Das Muster-Hotel
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https://doi.org/10.11588/diglit.10971#0359

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INNEN-DEKO RATION

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DAS MUSTER-HOTEL

Langsam rollten die Chaisen mit ihrem Zwilch-
t verdeck vor den vornehmen Gasthäusern mit
den grünen Fensterläden vorüber. Und in den Zim-
mern hingen neben den gepolsterten Lehnstühlen
samtene Vorhänge mit dunklen Quasten.« So etwa
kann man sich das Reisen in der Schweiz vorstellen
zu der Zeit, als Rousseau seine prophetischen Schrif-
ten schrieb, die eine Rückkehr zur Naturverbunden-
heit und damit in der Folgezeit die Entwicklung
der Schweiz zum eigentlichen Reiseland anbahnten.

Das ist nun schon lange her. Und die Zeit, in der
man das harte Lager und einfache Mahl mit dem
Hirten teilen mußte, um das Alpenglühen zu er-
leben, liegt weit zurück. Der Hauch einer poetischen
Patina aus den Tagen der Postkutschenromantik
aber ist über manchem Gasthof hängen geblieben,
der im Äußern fast vollkommen sein ursprüngliches
Gesicht gewahrt und sich nur im Innern den ver-
änderten räumlichen und sanitären Bedürfnissen
der Gegenwart angepaßt hat.

Nicht selten geschieht es auch, daß man einer

Tafel über dem Eingang begegnet, die an einen illu-
stren Gast erinnert und davon berichtet, daß hier
Goethe genächtigt oder dort Napoleon bei seinem
Marsch über die Alpen während des Feldzuges gegen
Italien gerastet und ein Glas Milch getrunken hat,
das er mit einem silbernen Fünf-Frankenstück wahr-
haft königlich bezahlte.

Von diesen Gasthöfen, die sich heute vielfach stolz
Hotel nennen, soll hier nicht die Rede sein, so be-
haglich es sich auch in ihnen wohnen läßt, wie es
auch der engbegrenzte Raum verbietet, von den
Hospizen auf dem St. Gotthard, dem St. Bernhard,
dem Simplon und anderen Alpenpässen zu sprechen,
in denen fromme Patres immer noch Bernhardiner-
hunde züchten und ihre sprichwörtliche Gastfreund-
schaft pflegen, so daß man fast glauben möchte, die
Zeit hätte hier stillgestanden, wenn nicht Bergbahn
und Postauto einen in die Gegenwart zurückriefen.

Auf die Entstehung des Schweizer Hotels haben
die Hospize weniger Einfluß gehabt, als man ge-
meinhin glaubt. Dieses leitet seinen Ursprung viel-
 
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