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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Alltag und Festtag
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0040

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ALLTAG UND FESTTAG

Dem Alltag und dem Alltäglichen sehen wir im
Schrifttum des letzten Jahrhunderts eine Un-
menge von hochmütigen und verächtlichen Absagen
gewidmet. Der graue Alltag, der läppische, der geist-
tötende Alltag sind stehende Redensarten schon zur
Zeit des beginnenden Idealismus, mehr noch seit
den Zeiten der Romantik, und am allermeisten häu-
fen sie sich mit dem Aufkommen der antibürger-
lichen Parolen, unter denen der Individualismus
vom Ende des 19. Jahrhunderts sich in Szene zu
setzen liebte. Das »Schustersleben«, wo man so Tag
für Tag dasselbe treibt und das den Geist frühzeitig
ins Grab bringt, war eine Schreckvorstellung vieler
deutscher Jugendgenerationen, und immer wieder
sahen wir heranwachsende Geschlechter sich ab-
mühen in einer bis zum Lächerlichen gehenden An-
feindung des Alltäglichen als des einen großen Hemm-
nisses gegen ein beschwingtes Leben.

Es ist freilich wahr: das Verlangen nach einem
beschwingten Leben ist als Grundtrieb dem Men-
schenherzen eingepflanzt, und dieses Verlangen geht
an sich nicht fehl. Aber selbst der außergewöhnliche
Mensch - ja gerade er! - kann nur nach der voll-
kommenen Besitzergreifung und durch die vollkom-
mene Urbarmachung des Alltags zum feiertäglichen
Leben aufsteigen. »Der Hochmut des modernen Men-
schen«, sagt ein holländischer Philosoph der Gegen-

wart, »stieß das Alltagsleben um einer größeren
Weisheit und eines reicheren Lebens willen zurück
- und er verirrte sich in ein Schattenreich des Ver-
standes und der Leidenschaften«. Das heißt: Eine
Bemeisterung des Alltags, eine Ergreifung und Durch-
tränkung des Alltags mit Seelenwerten muß ge-
schehen, damit er aufhört, eine tote Last zu sein,
und sich fügsam zum Sockel und Boden einer höheren
Lebensweise bildet.

Nicht um den Alltag herum, sondern durch ihn
hindurch führt der Weg der Bewährung und des
Sieges. Im Alltag steckenzubleiben, bedeutet frei-
lich eine Niederlage. Aber eine Seele, die es ver-
schmäht oder nicht fertigbringt, sich in den Be-
dingungen des Alltags, in Beruf und Familie zu
bewähren, wird auch dilettantisch in höheren Be-
zügen bleiben. Es ist eine beherzigenswerte Weis-
heit: »Die Freuden und Mühen des Alltagslebens
sind für den Menschen gerade hinreichend, um ihn
seine Seelenkräfte entfalten und die Weisheit finden
zu lassen, die zu einem reinen Leben notwendig
sind.« Bedenken wir genug, daß die allermeisten wert-
vollen Menschen, die uns als unser Volk umgeben,
keine andre »hohe Schule« gehabt haben als diese
Freuden und Aufgaben des Alltags und daß sie das
»reine«, also festliche Leben oft klarer darbieten als
Menschen eines ungewöhnlicheren Werdeganges.

GIO PONTl »KLEINER TISCH AUS HELLEM, MASSIVEM NUSSHOLZ«
 
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