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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 51.1940

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Das Treppenhaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.10972#0327
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INNEN-DEKORATION

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HAUS PRO]'. T1EDJE »TREPPENHALLE MIT STIEGE ZUM DACHOESCHOSS« WÄNDE IN TANNENHOLZSCHALUNO

vaten Verhältnissen nicht an die großartigen, weit-
armigen Treppenhaus-Wunder des 18. Jahrhunderts
denken, die eine wahre Feerie von Licht und Schatten,
lachenden Farben und Formen entfalteten. Aber man-
ches bescheidene Bürgerhaus aus der Zeit des Klassi-
zismus und selbst noch des Biedermeier darf uns mit
seinen gemächlichen, breiten Treppen, seinen räu-
migen Korridoren daran erinnern, daß ein Haus ein
Ganzes ist, ein Organismus, in dem für die tätigen Ge-
lenke grundsätzlich keine kargere Raum-Ökonomie
gelten darf als für die statischen Bestandteile. Minde-
stens als Forderung, als Richtschnur muß dies in Gel-
tung bleiben. Ja, es kann uns manchmal bedünken,
als sei es eine Art Kulturfrage, daß wir uns den Be-
griff vom Hause als einer atmenden Einheit, die über-
all vom gleichen Raumgefühl durchströmt ist, erhal-
ten oder wieder erringen. Es hängt an dieser Sache
etwas von der lebendigen Einheit des Menschen. Es
hängt an ihr etwas von jener Identität von Mensch
und Haus, die wir neuerdings im bäuerlichen Erbhof
wieder ins Auge fassen, wohl wissend, daß wir den
kraftvollen, selbstbewußten Volksmenschen nur ha-
benwerden, wenn wir ihm eine ebenbürtige, plastische

Objektwelt zur Seite geben. Die Mietkaserne mit ihrer
sträflichen Vernachlässigung von Treppenhaus und
Flur - war sie nicht schon im Sachbestand ein zyni-
sches Eingeständnis, daß sie von vornherein keine
Vollmenschen zu Bewohnern haben wollte, sondern
nur den Proletarier oder den geduckten Bürosklaven
mit seiner verkümmerten Art von Dasein? Das Haus
war Fragment, wie die in ihm hausenden Menschen
Fragmente waren. Und ebenso haben sich die dach-
losen Bienenkörbe, welche eine spätere Zeit in Groß-
städten aneinander gereiht hat, auf einen verkürzten
Menschentyp bezogen, auf den Mengenmenschen;
und heute noch sieht man sich durch die endlos
hinaufkletternden Betontreppen mit ihren gußeiser-
nen Handläufen zu einem solchen Mengenmenschen
degradiert. In summa: auch das Treppenhaus samt
den zugehörigen Verbindungs- und Einleitungsräu-
men braucht Raum und liebevolle Behandlung. Diese
Hausglieder sollen nicht halsbrecherische Hindernisse
und nicht Strecken kalter öde sein, nach denen man
sich frerit, sich in ein wohnliches Gelaß gerettet zu
haben, sondern Verbindungsstücke, die um die Freude
des Wohnens wissen als freundliche Diener. — H. R.
 
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