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INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT PIPPO AZZONl »WOHNSCHLAFRAUM« WÄNDE: STROHFARBEN, VERKLEIDUNO UND MÖBEL: ERLENHOLZ NATUR
STOFF UND GESTALTUNG
DIE BEDEUTUNG DES MATERIALS FÜR DAS KUNSTWERK
In jedem fertigen Erzeugnis der Kunst, des Kunst-
handwerks wie der Kunstindustrie bilden Gehalt,
Form und Material eine lebendige, untrennbare, orga-
nische Einheit. Nur in der Vorstellung vermögen wir
sie voneinander zu scheiden, um Klarheit zu gewin-
nen, welche Rolle jedes von ihnen spielt, und weshalb
hier eine vollendete Harmonie des Ganzen uns be-
glückt, weshalb wir dort diese schmerzlich vermissen.
Der Gehalt wird aus vielerlei Quellen gespeist:
Aus der Gefühls-, Gedanken- und Phantasiewelt des
Schaffenden selbst, aus der, oft entscheidend eingrei-
fenden, Allgemeinkultur seines Volkes und seiner
Zeit, aus den Wünschen Dritter, wie etwa der Auf-
traggeber, aus der Zweckbestimmung, die bei Erzeug-
nissen der Architektur und des Kunstgewerbes nie-
mals fehlt, ja sogar die Richtung des Gestaltungsab-
laufs festlegen mag. So verschmelzen in ihm Eigen-
persönliches, Fremdpersönliches und Überpersön-
liches zu untrennbarer Einheit.
Der Gehalt existiert niemals für sich allein. Er ist
an die Form gebunden, die er selbst sich erschafft, und
die wiederum zugleich Erzeugnis des Gestaltenden wie
der Allgemeinheit ist. Es gibt keine Form, in der nicht
ein Gehalt sich bärge. Nur ist der Grad ihrer Durch-
dringung mit ihm verschieden. Der Gehalt kann sich
so weit verflüchtigt haben, daß wir ihn nicht mehr zu
erkennen vermögen. Wir reden dann von einer »leeren
Form«. Aber er ist immer vorhanden. Vielleicht ist der
Künstler hin und wieder auch nicht imstande, jenen
Gehalt, den er in sich trägt und den er der Form mit-
teilen möchte, ganz in sie hineinzubannen. Dann fehlt
ihm eben die Gestaltungskraft, und das fertige Werk
ist trotz besten Wollens keine vollendete Schöpfung.
Denn hier entscheidet nicht der Gestaltungswunsch,
sondern einzig das Gestaltungsvermögen.
Gehalt und Form bedürfen beide des Stoffs, in den
sie sich ergießen. Das Material jedoch ist wesentlich
anderer Art als jene beiden. Gehalt und Form werden
von dem Schaffenden beigesteuert, das Material hin-
gegen nicht. Er kann es wählen, kann es bilden, allein
INNEN-DEKORATION
ARCHITEKT PIPPO AZZONl »WOHNSCHLAFRAUM« WÄNDE: STROHFARBEN, VERKLEIDUNO UND MÖBEL: ERLENHOLZ NATUR
STOFF UND GESTALTUNG
DIE BEDEUTUNG DES MATERIALS FÜR DAS KUNSTWERK
In jedem fertigen Erzeugnis der Kunst, des Kunst-
handwerks wie der Kunstindustrie bilden Gehalt,
Form und Material eine lebendige, untrennbare, orga-
nische Einheit. Nur in der Vorstellung vermögen wir
sie voneinander zu scheiden, um Klarheit zu gewin-
nen, welche Rolle jedes von ihnen spielt, und weshalb
hier eine vollendete Harmonie des Ganzen uns be-
glückt, weshalb wir dort diese schmerzlich vermissen.
Der Gehalt wird aus vielerlei Quellen gespeist:
Aus der Gefühls-, Gedanken- und Phantasiewelt des
Schaffenden selbst, aus der, oft entscheidend eingrei-
fenden, Allgemeinkultur seines Volkes und seiner
Zeit, aus den Wünschen Dritter, wie etwa der Auf-
traggeber, aus der Zweckbestimmung, die bei Erzeug-
nissen der Architektur und des Kunstgewerbes nie-
mals fehlt, ja sogar die Richtung des Gestaltungsab-
laufs festlegen mag. So verschmelzen in ihm Eigen-
persönliches, Fremdpersönliches und Überpersön-
liches zu untrennbarer Einheit.
Der Gehalt existiert niemals für sich allein. Er ist
an die Form gebunden, die er selbst sich erschafft, und
die wiederum zugleich Erzeugnis des Gestaltenden wie
der Allgemeinheit ist. Es gibt keine Form, in der nicht
ein Gehalt sich bärge. Nur ist der Grad ihrer Durch-
dringung mit ihm verschieden. Der Gehalt kann sich
so weit verflüchtigt haben, daß wir ihn nicht mehr zu
erkennen vermögen. Wir reden dann von einer »leeren
Form«. Aber er ist immer vorhanden. Vielleicht ist der
Künstler hin und wieder auch nicht imstande, jenen
Gehalt, den er in sich trägt und den er der Form mit-
teilen möchte, ganz in sie hineinzubannen. Dann fehlt
ihm eben die Gestaltungskraft, und das fertige Werk
ist trotz besten Wollens keine vollendete Schöpfung.
Denn hier entscheidet nicht der Gestaltungswunsch,
sondern einzig das Gestaltungsvermögen.
Gehalt und Form bedürfen beide des Stoffs, in den
sie sich ergießen. Das Material jedoch ist wesentlich
anderer Art als jene beiden. Gehalt und Form werden
von dem Schaffenden beigesteuert, das Material hin-
gegen nicht. Er kann es wählen, kann es bilden, allein