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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 52.1941

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Vom Sinn struktiver Formen
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https://doi.org/10.11588/diglit.12314#0363

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INN EN-DEKORATION

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VOM SINN STRUKTIVER FORMEN

Vor Jahren erzählte ein Indienreisender von einem
Umzug, den er in einer großen indischen Stadt
mitangesehen hatte. Es war bei Gelegenheit eines
volkstümlichen Festes und der Umzug brachte in aller-
lei Wagen mit gestellten Gruppen den Volkshumor
zum Ausdruck, wie wir dies ähnlich vom Rosenmon-
tagszug des rheinischen Karnevals kennen. Eine dieser
Gruppen hatte den Zweck, das Gebaren des Europäers
zu verspotten. Die Hauptfigur dabei war ein als Eng-
länder maskierter Hindu, der steif und hölzern ein-
hermarschierte, plötzlich aber wie in einem Wutanfall
auf einen der indischen Zuschauer losstürzte und ihn
unter wilden Grimassen verprügelte, um dann unver-
mittelt wieder seine steife Würde anzunehmen und
wie ein Automat weiterzustolzieren. Die Zuschauer
fanden das über die Maßen komisch und begleiteten
den Spaßvogel mit ausgelassenem Gelächter. Man
sah: die plötzlichen Temperamentsausbrüche galten
ihnen als Merkmal eines völlig fremden, eben des
europäischen Menschentums, das nach orientalischen
Begriffen keine Zucht und kein Benehmen, keine

Würde und keine aus Weisheit stammende Gelassen-
heit kennt. So sehr die modernen asiatischen Völker
unter sich verschieden sind - in diesem Begriff der
Würde, in dieser Verachtung europäischer Leiden-
schaftlichkeit und Gestikulation stimmen sie überein.

Sehr schön spricht sich das auch aus in der Ding-
welt, die am nächsten zum Menschen gehört, in der
Wohnung. Betritt man einen echt japanischen Wohn-
raum, so gewahrt man: die Formen sind still und
satt; sie sind fast alle kubisch, sauber und rechtwink-
lig, Entsprechungen der altjapanischen Menschen-
haltung, der im Ärmel geborgenen Hände und nieder-
geschlagenen oder still geradeaus blickenden Augen.
Bodenmatten mit schlichter rechteckiger Feldertei-
lung, alle Behälter in simplen Kastenformen bei
edlem Material, kaum eine geschwungene Linie;
Holzsäulen, die etwa als freie Stützen nötig sind, blei-
ben schlichte glatte Schäfte ohne Sockel und Bekrö-
nung; an der Wand Abstellborde und nebeneinander-
gereihte Gefache, leicht und fest mit der Täfelung ver-
bunden; große Schiebefenster mit quadratischer

1941. xn. 2
 
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