28 INNEN-DEKOR AT ION
»BEMALTER FLURSCHRANK« ENTW. J. HILLERBRAND, BEMALUNO VON OEORO MERKL-MÜNCHEN
ZIERFORM UND VITALITÄT
Unter der älteren Generation werden sich manche
noch der hitzigen Bilderstürmerei erinnern, die
vor Jahrzehnten im Gebiet des kunsthandwerklichen
Schaffens auftrat. Ihre Anhänger wandten sich gegen
jede Zierform im Außen- und Innenbau, gegen jedes
Ornament im Hausrat, an der Wand, an den dienen-
den Bestandteilen der Wohnungseinrichtung. Klipp
und klar wurde verkündet, daß die Freude am Orna-
ment eine Sache des primitiven Menschen sei. Wo sie
im Bereich der Kulturmenschheit auftrete, bedeute
sie einen Rückfall in die Barbarei, ja ein Aufleben ge-
fährlicher, roher Instinkte, dessen sich die Kultur zu
erwehren habe. Der Beweis schien leicht erbracht:
Wer tätowiert sich, wer läßt sich Ornamente auf die
Haut punktieren ? Rohlinge, Berufsverbrecher, dunkle
Existenzen der Großstädte und der Hafenkneipen.
Wer behängt seine Gliedmaßen mit knalligen
Schmuckstücken, wer verunziert seine Wohnung mit
schreienden Tapeten, wer bevorzugt grell gemusterte
Stoffe an Kleidern, Vorhängen usw. ? Geschmacklose
Untermenschen von ungezügeltem Triebleben! In
beiden Fällen war die Ornamentfreude mit einer
Menschenart in Verbindung gebracht, die der eigent-
lichen Kulturwelt fernsteht, oft sogar verbrecheri-
schen Regungen unterworfen ist. Kein Wunder, daß
von solchen Anhaltspunkten aus eine blutloses und
dilettantisches Denken zu dem Schlüsse kam: Freude
am Ornament gehört einer überwundenen Kultur-
stufe an, sie drückt einen bedenklichen Zusammen-
hang mit primitiven Seelenlagen aus und muß daher
aus der heutigen Lebensgestaltung ausgemerzt werden.
Diese Schlußfolgerung ist genau so weise, wie die
entgegengesetzte, die ebenfalls eine Zeitlang in den
Gemütern gespukt hat: Das bewußte, rationale Den-
ken störe die gesunden Lebenstriebe, mithin sei der
»Geist«, der klare, planende Wille als ein Widersacher
des »Lebens« zu bekämpfen! Man braucht nur diese
beiden Extreme nebeneinanderzuhalten, um wahrzu-
nehmen, daß in beiden Fällen an der menschlichen
Wirklichkeit vorbeigeredet wird. Es ist kein Zweifel,
»BEMALTER FLURSCHRANK« ENTW. J. HILLERBRAND, BEMALUNO VON OEORO MERKL-MÜNCHEN
ZIERFORM UND VITALITÄT
Unter der älteren Generation werden sich manche
noch der hitzigen Bilderstürmerei erinnern, die
vor Jahrzehnten im Gebiet des kunsthandwerklichen
Schaffens auftrat. Ihre Anhänger wandten sich gegen
jede Zierform im Außen- und Innenbau, gegen jedes
Ornament im Hausrat, an der Wand, an den dienen-
den Bestandteilen der Wohnungseinrichtung. Klipp
und klar wurde verkündet, daß die Freude am Orna-
ment eine Sache des primitiven Menschen sei. Wo sie
im Bereich der Kulturmenschheit auftrete, bedeute
sie einen Rückfall in die Barbarei, ja ein Aufleben ge-
fährlicher, roher Instinkte, dessen sich die Kultur zu
erwehren habe. Der Beweis schien leicht erbracht:
Wer tätowiert sich, wer läßt sich Ornamente auf die
Haut punktieren ? Rohlinge, Berufsverbrecher, dunkle
Existenzen der Großstädte und der Hafenkneipen.
Wer behängt seine Gliedmaßen mit knalligen
Schmuckstücken, wer verunziert seine Wohnung mit
schreienden Tapeten, wer bevorzugt grell gemusterte
Stoffe an Kleidern, Vorhängen usw. ? Geschmacklose
Untermenschen von ungezügeltem Triebleben! In
beiden Fällen war die Ornamentfreude mit einer
Menschenart in Verbindung gebracht, die der eigent-
lichen Kulturwelt fernsteht, oft sogar verbrecheri-
schen Regungen unterworfen ist. Kein Wunder, daß
von solchen Anhaltspunkten aus eine blutloses und
dilettantisches Denken zu dem Schlüsse kam: Freude
am Ornament gehört einer überwundenen Kultur-
stufe an, sie drückt einen bedenklichen Zusammen-
hang mit primitiven Seelenlagen aus und muß daher
aus der heutigen Lebensgestaltung ausgemerzt werden.
Diese Schlußfolgerung ist genau so weise, wie die
entgegengesetzte, die ebenfalls eine Zeitlang in den
Gemütern gespukt hat: Das bewußte, rationale Den-
ken störe die gesunden Lebenstriebe, mithin sei der
»Geist«, der klare, planende Wille als ein Widersacher
des »Lebens« zu bekämpfen! Man braucht nur diese
beiden Extreme nebeneinanderzuhalten, um wahrzu-
nehmen, daß in beiden Fällen an der menschlichen
Wirklichkeit vorbeigeredet wird. Es ist kein Zweifel,