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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 54.1943

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Hildebrandt, Hans: Aus den Anfangstagen der neuen Raumkunst
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Bolz, Wilhelm: Wahre Meisterschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.10969#0023

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AUS DEN ANFANGSTAGEN DER NEUEN RAUMKUNST

Gestaltung jedes Möbels aus dem Zweck heraus, drucksmitteln der eigenen Zeit nicht nur eine Forde-
dem zu dienen es bestimmt ist, organisches rung gesunden künstlerischen Wirkens, sondern
Gefüge, das allen von ihm zu leistenden Funktionen auch möglich ist. Die Einleitung zu dem »Dokument
Rechnung trägt, Echtheit und unverfälschte Sicht- Deutscher Kunst« konnte sich dabei auf keinen Ge-
barmachung des verwendeten Materials, Gediegen- ringeren als Goethe berufen, auf jene von Eckermann
heit der Ausführung auch an den nicht zur Schau überlieferten Worte, die Goethe geäußert hat, als,
gestellten Teilen, Versöhnung der berechtigten ausgehend von einem gotisierenden neuen Bücher-
Wünsche nach Schönheit mit den praktischen Ge- schrank die Rede auf die von der Romantik ange-
gebenheiten Verlegung der künstlerischen Wirkung bahnte Mode gekommen war, ganze Zimmer in alt-
in die Herausbildung reiner, ausdrucksvoller Form deutscher und gotischer Art einzurichten. Es sind
und klarer harmonischer Verhältnisse unter Ver- dies jene kürzlich auch hier wieder im Wortlaut
2icht auf alles Überflüssige auf jedes Beiwerk nur zitierten, ungemein einprägsamen Sätze über die
dekorativer Art - das sind'lauter Forderungen, die Maskerade gotischer oder chinesischer Zimmer,
heute Gemeingut einer sich ihrer Verantwortung über ihren nachteiligen Einfluß auf die Menschen
bewußten deutschen Möbelerzeugung auf handwerk- und über die Förderung leerer und hohler Denkungs-
Hcher wie auf industrieller Grundlage sind. Es sind weise, die sich aus solchem Widerspruch mit dem
Forderungen, die gleichermaßen gelten, ob es sich lebendigen Tage, in welchen wir gesetzt sind, not-
nun um die Einrichtung einer vornehmen Villa, eines wendig ergibt.

behaglichen Bürgerhauses oder einer schlichten Was die Architekten und Kunstgewerbler der

Kleinwohnung handelt. Darmstädter Kunstler-Kolonie gestalteten stand im

Sie sind heute Gemeingut. Aber sie sind es noch Zeichen des »Jugendstils«, wie die neue Bewegung
gar nicht lang, und sie wurden es erst nach harten genannt ward, weil die von Georg Hirth begründete
Kämpfen. So mag es aufschlußreich sein, wieder Münchener Zeitschrift »Die Jugend« sich am leiden-
einmal einen kurzen Blick auf die Anfänge der Be- schaftlichsten für sie einsetzte. Als Spottname er-
wegung zu werfen, die in die jetzige Wohngesinnung dacht, ward er von den Tragern der Bewegung selbst
und Wohnungsausstattung mündete. Den weithin übernommen, da sie sich jung und tatenkraftig
sichtbaren Wendepunkt in der Entwicklung bedeutete fühlten. Man traute sich zu, mit Beseitigung des
die Ausstellung der Darmstädter Künstler-Kolonie herrschenden Eklektizismus einen Stil des 20. Jahr-
im Jahre 1001 an der junge, kühne und Schaffens- hunderts von heute auf morgen erzeugen zu können
frohe Künstler aus Hessen wie aus anderen deutschen ebenbürtig den großen Stilen und ganz verankert
Gauen, Peter Behrens, H. Christiansen, Patriz Huber, in der Gegenwart. Allein man vergaß, daß die großen
Joseph oibrich u a m. (genannt seien in diesem Stile der Vergangenheit jeweils die unbeabsichtigte
,Zusammenhang nur die Außen- und Innenarchi- Schöpfung der Gesamtheit waren daß sie langsam
tekten) sowie als weitblickender und wagemutiger, meist im Laufe von Jahrhunderten, wuchsen und
freigebiger Mäzen Großherzog Ernst Ludwig schöpfe- reiften. Der um 1900 erstrebte Stil hingegen war das
nschen Anteil hatten. Daß nicht alles Gebotene absichtsvolle Erzeugnis einzelner, wenn auch hoch-
schon Erfüllung sein konnte ■ daß manches dar- begabter Persönlichkeiten. So blieb ihm die Dauer
unter uns heute als belächelnswert erscheint, liegt versagt. Der Jugendstil verschwand so rasch wie
auf der Hand. Allein was die Darmstädter Künstler - er aufgetaucht war, und wenige seiner Gebilde haben
zum Entsetzen der breiten Masse in allen Volks- ihre Gültigkeit über die Zeit der Entstehung hinaus
schichten, zur Freude einer verstehenden, zukunfts- bewahrt. Seine Sendung aber hatte er erfüllt: die
gläubigen Minderheit - auf der Mathildenhöhe zeig- Bahn freizumachen für ein minder anspruchsvoll
ten, war doch eine Tat. Eine Tat, die weiter gewirkt aufschießendes, aber auf sicherer Grundlage sich
hat bis in unsere Tage. Und der Verlag Alexander aufbauendes, wahrhaft zeitgemäßes Gestalten. So
Koch darf mit Stolz darauf hinweisen, daß er sich schulden auch wir ihm Dank, ihm und der Darm-
von der ersten Stunde an in den Dienst einer guten Städter Künstler-Kolonie, die so wagemutig den
Bewegung gestellt hat. Die umfassende Veröffent- ersten Markstein am Weg zu einer neuen Baukunst
lichung, die mit vollem Rechte »Ein Dokument und Wohnkultur gesetzt hat. - hans hildebrandt
Deutscher Kunst« genannt ward, ist in reichster Aus- *
stattung in seinem Verlage erschienen.

Worin bestand die wichtigste Leistung der Darm- \V7"AHRE MEISTERSCHAFT zeigt sich gerade

Städter Künstler-Kolonie und ihrer Ausstellung? W darin, daß der Mensch, an einem bestimmten

Unzweifelhaft in der Kriegserklärung an den Hi- Punkt seiner Entwicklung angelangt, sich frei macht

storizismus und Eklektizismus, in denen Architektur von den angelernten und zur Routine gewordenen

und Kunstgewerbe Jahrzehnte hindurch befangen Handgriffen seines Berufes und sie nunmehr von

w*ren, und in dem Nachweis, daß ein schöpfe- innen her lebendig ergreifend in den Dienst der

nsches Gestalten aus Geist, Bedürfnissen und Aus- eigenen schöpferischen Ideen stellt. - wilhelm bolz
 
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