122
INNEN-DEKORATI ON
WOHNSITTE UND MÖBELFORMEN
Unabhängig von den Wandlungen des Zeitstils er-
halten und verändern sich jene Lebensformen,
die wir als Wohnsitte bezeichnen. Das Aufkommen
eines neuen Zeitstils, der neue Möbelformen her-
vorruft, hat seine tiefste Ursache immer in Verände-
rungen des geistig-seelischen Zustandes der Men-
schen eines Kulturkreises. Daher die umfassende,
alle Lebensgebiete durchdringende Wirkung eines
Stilwandels: er äußert sich in der Architektur, in den
bildenden und gewerblichen Künsten, in den Schöp-
fungen der Sprache und der Musik, ja zuletzt überall,
wo menschlicher Gestaltungsdrang sich in der For-
mung öffentlichen und privaten Lebens auswirkt.
Änderungen jener Lebensformen, die wir als Sitte
bezeichnen, vollziehen sich mehr an der Oberfläche
des Daseins; ihre W'rkung beschränkt sich auf be-
grenzte Gebiete des häuslichen oder geselligen Le-
bens. Sie können durch technische Neuerungen,
durch wirtschaftliche und soziale Umschichtungen
hervorgerufen werden. Doch zeigen eingewurzelte
Sitten eine große Beständigkeit. Wohnsitten können
Jahrhunderte und viele Wandlungen des Zeitstils
überdauern. Sitte, die dem Brauchtum verwandt ist,
bedeutet Festhalten am Hergebrachten, sie ist der
extreme Gegensatz zur flüchtigen Mode.
Die Wohnecke, in der ein Tisch mit einigen Stüh-
len vor einem an die Wand gestellten Sofa steht, fin-
det sich schon als stereotype Form in den Wohnzim-
mern der Biedermeierzeit. Die freundlichen hellen
Kirschbaummöbel weichen dann den schwereren Mö-
beln der Jahrhundertmitte und der Gründerzeit, wer-
den etwas später durch falsche Rokokomöbel ersetzt,
nehmen zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Formen
des Jugendstils an, und auch die deutsche Wohnsitte
der Gegenwart bevorzugt die feste Anordnung gleich-
artiger Sitzmöbel um einen Tisch. Eine Anordnung,
INNEN-DEKORATI ON
WOHNSITTE UND MÖBELFORMEN
Unabhängig von den Wandlungen des Zeitstils er-
halten und verändern sich jene Lebensformen,
die wir als Wohnsitte bezeichnen. Das Aufkommen
eines neuen Zeitstils, der neue Möbelformen her-
vorruft, hat seine tiefste Ursache immer in Verände-
rungen des geistig-seelischen Zustandes der Men-
schen eines Kulturkreises. Daher die umfassende,
alle Lebensgebiete durchdringende Wirkung eines
Stilwandels: er äußert sich in der Architektur, in den
bildenden und gewerblichen Künsten, in den Schöp-
fungen der Sprache und der Musik, ja zuletzt überall,
wo menschlicher Gestaltungsdrang sich in der For-
mung öffentlichen und privaten Lebens auswirkt.
Änderungen jener Lebensformen, die wir als Sitte
bezeichnen, vollziehen sich mehr an der Oberfläche
des Daseins; ihre W'rkung beschränkt sich auf be-
grenzte Gebiete des häuslichen oder geselligen Le-
bens. Sie können durch technische Neuerungen,
durch wirtschaftliche und soziale Umschichtungen
hervorgerufen werden. Doch zeigen eingewurzelte
Sitten eine große Beständigkeit. Wohnsitten können
Jahrhunderte und viele Wandlungen des Zeitstils
überdauern. Sitte, die dem Brauchtum verwandt ist,
bedeutet Festhalten am Hergebrachten, sie ist der
extreme Gegensatz zur flüchtigen Mode.
Die Wohnecke, in der ein Tisch mit einigen Stüh-
len vor einem an die Wand gestellten Sofa steht, fin-
det sich schon als stereotype Form in den Wohnzim-
mern der Biedermeierzeit. Die freundlichen hellen
Kirschbaummöbel weichen dann den schwereren Mö-
beln der Jahrhundertmitte und der Gründerzeit, wer-
den etwas später durch falsche Rokokomöbel ersetzt,
nehmen zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Formen
des Jugendstils an, und auch die deutsche Wohnsitte
der Gegenwart bevorzugt die feste Anordnung gleich-
artiger Sitzmöbel um einen Tisch. Eine Anordnung,