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Glücklich, Hans-Joachim; Nickel, Rainer; Petersen, Peter
Interpretatio: neue lateinische Textgrammatik (Band (2)): Lehrerhandbuch — Freiburg, Würzburg: Verlag Ploetz, 1980

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.54657#0047
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KAPITEL III

Textverwendungslehre (Pragmatik)

EINFÜHRUNG

/. Grundlagen und Ziele
Das Pragmatik-Kapitel der vorliegenden Textgrammatik erhebt nicht den Anspruch, eine be-
stimmte sprachwissenschaftliche Theorie in Unterrichtspraxis umzusetzen. Was hier unter
Pragmatik verstanden wird, ist lediglich eine Zusammenstellung von Gesichtspunkten, deren
Berücksichtigung bei der Auseinandersetzung mit Texten in der Phase der ersten Erarbei-
tung und selbstverständlich auch in späteren Interpretationsphasen hilfreich sein kann. Diese
Überzeugung beruht auf der Auffassung, daß Texte primär pragmatisch konstituiert werden,
d.h. daß sie ihre Entstehung bestimmten Situationen, Absichten und Interessen verdanken
und daher auch nur unter Berücksichtigung dieser Entstehungsbedingungen verständlich
sind. Eine Textgrammatik bietet demnach nur dann eine hinreichende Unterstützung der un-
terrichtlichen Textarbeit, wenn sie neben einer morphosyntaktischen und semantischen
Sprachbeschreibung auch ein Instrumentarium zur Erfassung der im Text auffindbaren An-
haltspunkte bereitstellt, die zur Erschließung seiner Enstehungs- und Verwendungsbedin-
gungen führen.
Trotz des ausdrücklichen Verzichts auf eine Bindung an bestimmte Theorien der modernen
Sprachwissenschaft muß der Autor des Pragmatik-Kapitels bekennen, daß er sich in gewis-
sem Umfang einer Sprachpragmatik verpflichtet weiß, wie sie von John Langshaw Austin und
John Searle in Form einer Theorie der Sprechakte vertreten und von Dieter Wunderlich,
Georg Klaus u.a.1) modifiziert und weiterentwickelt wurde. Im Rahmen dieser Theorie der
Sprechakte wird Sprache als „subjektgebundene“ Sprechhandlung, als intentionales Han-
deln eines Subjekts verstanden, das auf ein vorgegebenes „subjektentbundenes“ Sprach-
system und sprachliche Konventionen angewiesen ist.
Obwohl die Sprechakttheorie ursprünglich für die gesprochene Sprache entwickelt worden
ist, wird sie in dem vorliegenden Pragmatik-Kapitel auf die geschriebene Sprache im Sinne
einer Schreibakttheorie2) angewandt. Das könnte auf den ersten Blick problematisch er-
scheinen. Aber einerseits kann Sprache aufgrund ihrer „medium-transferability“ (John
Lyons) ohne Verlust wesentlicher Eigenschaften in unterschiedlichen Medien gleichermaßen
realisiert werden, und andererseits ist bei lateinischen Texten eine Differenzierung zwischen
Sprech- und Schreibakten nicht erforderlich, da die sprachlichen Handlungen, die wir heute
als Schreibakte durch „Fernkommunikation“ wahrnehmen, in der ursprünglichen Kommuni-
kationssituation durchaus Sprechakte waren und als solche vom heutigen Leser in einem Le-
seakt zu rekonstruieren sind.
Als Sprechakt seines Autors ist das vorliegende Pragmatik-Kapitel eine Beschreibung aus-
gewählter Sprechakte lateinischer Autoren. Dieser Sprechakt ist - nach Austin — unter drei
Aspekten zu betrachten:
1. Als „lokutionärer Akt“, d.h. in seiner graphisch-grammatisch-semantischen Realisierung,
ist er in Gestalt eines Buch-Kapitels faßbar, das in fünf Abschnitte untergliedert ist:
— Die Bedeutung von Sprache und Literatur für den Menschen
1) Austin, J.L.: How to do things with words, Cambridge/Mass. 1962 (dt.: Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1972);
Searle, J.: Speech Acts, Cambridge 1969 (dt.: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay, Frankfurt 1971); Klaus,
G.: Die Macht des Wortes. Ein erkenntnistheoretisch-pragmatisches Traktat, Berlin, 51969; Maas, U- Wunderlich, D.:
Pragmatik und sprachliches Handeln, Frankfurt 1972; Henne, H.: Sprachpragmatik, Tübingen 1975; Apel, K.-O.
(Hrsg.): Sprachpragmatik und Philosophie, Frankfurt 1976.
2) Vgl. Henne 1975, S. 73.

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