Der Kunstmarkt 1921
7r
die „Dame in Weiß“. Das war der höchste
amerikanische Degas-Preis. Aber fast gleich-
zeitig erwärmte man sich in Newyork in
hohem Grade für die Gotik: in der Auktion
Henry Lawrence (American Art Association)
erreichte eine englische Glasmalerei des
i3. Jahrhunderts (Die Wurzel Jesse) *70000
Dollar, ein französisches Glasbild dergleichen
Epoche 23000, ein rheinisches 4000.
Der deutsche Kunstmarkt laborierte in-
zwischen an der Valuta, an den Steuern usw.,
somit auch an der Unlust der heimischen
Sammler. Nachfrage und Angebot waren
mäßiger denn je. Sammler, die sonst immer
Kunstdinge, die sie nicht mehr inter-
essierten, abzustoßen suchten, um hierfür
Qualitäten zu kaufen, hielten mit der „Ware“
zurück, und Sammler, die sonst ihre Samm-
strebten, begnügten sich mit der Hoffnung
auf günstigere Gelegenheiten. Der Kunst¬
handel aber mußte das Nachsehen haben, und auch mit den Auktionen wagte man sich
nur scheu hervor. Berlin z. B. hatte eine viel schwächere Auktionssaison als je, und so
blieb es bis in den Juni 1921, da die Reiclishauptstadt mit den Versteigerungen Schluß
machte. Dazu kam, daß Berlin im Winter 1921 (und bis in den Sommer) keinerlei Samm-
lung von überragender Bedeutung ausbot, sondern daß sich bloß inmitten der Samm-
lungen, die auf dem Markt erschienen, stellenweise auch Qualitäten von internationaler
Geltung zusammenfanden. Und auch München blieb diesmal im Hintergrund. Dagegen
marschierten Leipzig und Frankfurt an der Spitze.
Die Berliner Auktionssaison 1921 eröffnete Karl Henrici mit Ghodowiecki. Die Er-
innerung an die Versteigerung der Berliner Sammlung Stechow bei Boerner in Leipzig1)
ist aber noch zu stark, als daß man behaupten könnte, daß die Preise vom 19. Dezember
[920 auch nur annähernd in Berlin erreicht worden sind. Immerhin gab es am 19. und
20. Januar bei Henrici Preise, die schon deshalb vermerkt zu werden verdienen, weil
sie dem Chodowiecki-Sammler vielleicht doch bessere Richtlinien bieten mögen als die
Preise der Stechow-Auktion, in der fast durchweg Stiche von erlesenster Qualität aus-
1 ungen um jeden Preis zu komplettieren
Abb. 28. Tizian, Mann mit dem Falken
Aus der Sammlung Dr. Eduard Simon, Berlin,
für a.Soooo holl. Gulden nach Amerika verkauft
Siehe: „Jahrbuch für Kunstsammler“ I/1921, S. 82.
7r
die „Dame in Weiß“. Das war der höchste
amerikanische Degas-Preis. Aber fast gleich-
zeitig erwärmte man sich in Newyork in
hohem Grade für die Gotik: in der Auktion
Henry Lawrence (American Art Association)
erreichte eine englische Glasmalerei des
i3. Jahrhunderts (Die Wurzel Jesse) *70000
Dollar, ein französisches Glasbild dergleichen
Epoche 23000, ein rheinisches 4000.
Der deutsche Kunstmarkt laborierte in-
zwischen an der Valuta, an den Steuern usw.,
somit auch an der Unlust der heimischen
Sammler. Nachfrage und Angebot waren
mäßiger denn je. Sammler, die sonst immer
Kunstdinge, die sie nicht mehr inter-
essierten, abzustoßen suchten, um hierfür
Qualitäten zu kaufen, hielten mit der „Ware“
zurück, und Sammler, die sonst ihre Samm-
strebten, begnügten sich mit der Hoffnung
auf günstigere Gelegenheiten. Der Kunst¬
handel aber mußte das Nachsehen haben, und auch mit den Auktionen wagte man sich
nur scheu hervor. Berlin z. B. hatte eine viel schwächere Auktionssaison als je, und so
blieb es bis in den Juni 1921, da die Reiclishauptstadt mit den Versteigerungen Schluß
machte. Dazu kam, daß Berlin im Winter 1921 (und bis in den Sommer) keinerlei Samm-
lung von überragender Bedeutung ausbot, sondern daß sich bloß inmitten der Samm-
lungen, die auf dem Markt erschienen, stellenweise auch Qualitäten von internationaler
Geltung zusammenfanden. Und auch München blieb diesmal im Hintergrund. Dagegen
marschierten Leipzig und Frankfurt an der Spitze.
Die Berliner Auktionssaison 1921 eröffnete Karl Henrici mit Ghodowiecki. Die Er-
innerung an die Versteigerung der Berliner Sammlung Stechow bei Boerner in Leipzig1)
ist aber noch zu stark, als daß man behaupten könnte, daß die Preise vom 19. Dezember
[920 auch nur annähernd in Berlin erreicht worden sind. Immerhin gab es am 19. und
20. Januar bei Henrici Preise, die schon deshalb vermerkt zu werden verdienen, weil
sie dem Chodowiecki-Sammler vielleicht doch bessere Richtlinien bieten mögen als die
Preise der Stechow-Auktion, in der fast durchweg Stiche von erlesenster Qualität aus-
1 ungen um jeden Preis zu komplettieren
Abb. 28. Tizian, Mann mit dem Falken
Aus der Sammlung Dr. Eduard Simon, Berlin,
für a.Soooo holl. Gulden nach Amerika verkauft
Siehe: „Jahrbuch für Kunstsammler“ I/1921, S. 82.