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H. Kohlhaußen / Mittelalterliche Bildwerke im Hamburgischen Museum

Abb. 32. Dornenkrönung
Ilolzrelief Allgäu um i52o


DORNENKRÖNUNG. ALLGÄU UM i5ao. LINDENHOLZRELIEF
AUF WEICHHOLZUNTERLAGE
Abb. 32. Höhe i ,08, Breite o,46 m. Relief unbemalt, auf dem Grund rechts oben
ein altgemaltes schwarzgegittertes Fenster. Erhaltung: durch gewaltsame Ein-
griffe sind Gesichter, Haare, Gewandung, Hände und Stäbe wie der dünne, nur
einige Millimeter im Durchmesser messende Grund geschädigt und teilzerstört.
Es fehlt die untere Gesichtshälfte des vor Christus Knieenden ; ergänzt sind die
Fingerspitzen der den Stab haltenden Hand des über Christus Stehenden.
Die hochrechteckige, inhaltlich unzweideutige Gruppe mit
dem als Dornenkönig verspotteten, von seinen Peinigern ver-
höhnten und gemarterten Christus ist das Meisterwerk eines
Unbekannten. Im Aufbau eng verwandt mit der Anbetung
des Meisters von Ottobeuren (Gröber Taf. 7 4), dessen Stil es
auch durch die Parallelfaltung nahesteht. Verwandter noch
— denkt man an den Charakter der Parallelfalten — ist ein
Lindenholzrelief mit dem Tod Mariä im Nationalmuseum
München, dort als „bayr.-schwäbische Schule frühes 16. Jahr-
hundert“ geführt. Hier sind, entgegen der frappierenden Kalli-
graphik des Ottobeurer Meisters, die Faltenkämme in sich ge-
spalten und durch kleine Dellen und Knitterungen belebt und
gebrochen, wodurch eine Milderung im Sinne unseres ge-
ruhigen , weniger temperamentvollen Meisters zustande kommt.
Die schon nach den bisher veröffentlichten Arbeiten zu fol-

gernde Anzahl nennenswerter Allgäuer Meister wird durch unser Stück um einen neuen,
mit Namen Unbekannten vermehrt, dessen Werk die Lokalforschung erweitern möge.
Auffallend für unser Relief ist die den Gedanken an Bemalung ausschließende Ober-
flächenbehandlung. Man muß den linken Unterarm Christi gesehen haben, seiner, den
besten absichtsgleichen Riemenschneiderarbeiten konkurrierenden Formung mit den
sanften, kaum über die weiche Hautfläche hervortretenden Adern tastend nachgegangen
sein. Erlebt man so den schönen Körper Christi, dann spürt man den Schlag der eisen-
gepanzerten Faust darüber, ohne die den Arbeiten dieser Landschaft fehlende Dramatik
zu vermissen. Erregtheit im äußeren Sinne gibt der Künstler nur durch die formale
Gestaltung: von den geballten schlagbereiten Fäusten der Stehenden zucken zwei Blitze,
folgt man dem winkligen Aufbau jeder Bildhälfte nach unten, auf das dornenumflochtene
Haupt, das, leicht gebeugt, durch den Spott des zum Schein auf den Knieen Verehren-
den, mit frechem Blick die Wirkung von Schlag und Wort Belauernden wohl härter
getroffen wird als von dem Hagel der Hiebe. Der wehe, kaum sichtbare Zug um Auge,
Stirn und Mundwinkel gibt beredtes Zeugnis dafür und damit für die seelische Tiefe
einer hohen Künstlerschaft.
 
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