Kupfersticlivorbilder für Meißener Groteskgefäße
Werk von überraschend starker, ur¬
sprünglicher Wirkung entstanden. Der
Niederschlag der Naturstudien für die
großen Tierfiguren macht sich deutlich
bemerkbar. Kirchners Tierplastiken sind
viel mehr aus der Phantasie heraus als
nach der Natur geschaffen. Dafür sind sie
aber auch von einer Großzügigkeit der
Form und einer fast dämonischen Kraft
des Ausdrucks, die von tiefem Natur¬
gefühl zeugen. Man glaubt an ihr Dasein
ebenso wie an das der wunderlichen Chi¬
mären auf französischen Kathedralen,
jener Fabelwesen, für die der zünftige
Zoologe nur ein mitleidiges Lächeln auf¬
bringt. Das Dämonische in dem Vorwurf
des Tierkruges hat Kirchner offenbar ge¬
reizt, denn es lag seiner persönlichen Be- Abb# 43- Groteske Teekanne Meißen um I?28
gabung. Statt des formlosen, in sich zu¬
sammengesunkenen Körpers bildet er einen straff emporgereckten Tierleib, an dem
jede Sehne, jeder Muskel bis zum äußersten gespannt ist. Statt der fratzenhaft verzerrten,
zum abstrakten Ornament erstarrten Maske gestaltet er einen Tierkopf von erschreckender
Lebendigkeit. Der Haarbüschel unter der Brust ist in zwei gerade Beine mit zotteligem
Fell verwandelt. Aus dem starren Metallhalsband von Weinlaub und Trauben ist ein
breiter, zart modellierter Blumen- und Früchtekranz geworden, der sich sanft den
Hebungen und Senkungen des Scliultergerüsts ansclimiegt. Vom Widder entlehnt ist
das Gehörn. Im übrigen scheitern alle Versuche einer zoologischen Bestimmung. Trotz
der heterogenen Körperteile erscheint diese Spottgeburt der Hölle als organisch ge-
wachsene einheitliche Schöpfung, erfüllt von starkem individuellen Leben.
Es ist nicht anzunehmen, daß Kirchner sich die Vorlagen für die großen Groteskvasen
und für den Tierkrug, der gleichfalls zur Dekoration der vorderen Galerie des Japani-
schen Palais bestimmt war, selbst gesucht hat. Derartige Anleihen hatte er, dessen Er-
findungsgabe in den Akten stets ausdrücklich gerühmt wird, nicht nötig. Auch die mit
der Innenausstattung des Japanischen Palais beauftragten Architekten haben sich kaum
mit der Beschaffung geeigneter Vorlagen für die Meißener Modelleure befaßt. Es bleibt
noch die Möglichkeit, an den Grafen Sulkowski zu denken, der die Meißener Liefe-
rungen für das Japanische Palais überwachte und nach eigenem Ermessen zu diesem
Zweck Porzellan aus der Dresdener Niederlage zusammengestellt hat. Wenn Sulkowski
10*
Werk von überraschend starker, ur¬
sprünglicher Wirkung entstanden. Der
Niederschlag der Naturstudien für die
großen Tierfiguren macht sich deutlich
bemerkbar. Kirchners Tierplastiken sind
viel mehr aus der Phantasie heraus als
nach der Natur geschaffen. Dafür sind sie
aber auch von einer Großzügigkeit der
Form und einer fast dämonischen Kraft
des Ausdrucks, die von tiefem Natur¬
gefühl zeugen. Man glaubt an ihr Dasein
ebenso wie an das der wunderlichen Chi¬
mären auf französischen Kathedralen,
jener Fabelwesen, für die der zünftige
Zoologe nur ein mitleidiges Lächeln auf¬
bringt. Das Dämonische in dem Vorwurf
des Tierkruges hat Kirchner offenbar ge¬
reizt, denn es lag seiner persönlichen Be- Abb# 43- Groteske Teekanne Meißen um I?28
gabung. Statt des formlosen, in sich zu¬
sammengesunkenen Körpers bildet er einen straff emporgereckten Tierleib, an dem
jede Sehne, jeder Muskel bis zum äußersten gespannt ist. Statt der fratzenhaft verzerrten,
zum abstrakten Ornament erstarrten Maske gestaltet er einen Tierkopf von erschreckender
Lebendigkeit. Der Haarbüschel unter der Brust ist in zwei gerade Beine mit zotteligem
Fell verwandelt. Aus dem starren Metallhalsband von Weinlaub und Trauben ist ein
breiter, zart modellierter Blumen- und Früchtekranz geworden, der sich sanft den
Hebungen und Senkungen des Scliultergerüsts ansclimiegt. Vom Widder entlehnt ist
das Gehörn. Im übrigen scheitern alle Versuche einer zoologischen Bestimmung. Trotz
der heterogenen Körperteile erscheint diese Spottgeburt der Hölle als organisch ge-
wachsene einheitliche Schöpfung, erfüllt von starkem individuellen Leben.
Es ist nicht anzunehmen, daß Kirchner sich die Vorlagen für die großen Groteskvasen
und für den Tierkrug, der gleichfalls zur Dekoration der vorderen Galerie des Japani-
schen Palais bestimmt war, selbst gesucht hat. Derartige Anleihen hatte er, dessen Er-
findungsgabe in den Akten stets ausdrücklich gerühmt wird, nicht nötig. Auch die mit
der Innenausstattung des Japanischen Palais beauftragten Architekten haben sich kaum
mit der Beschaffung geeigneter Vorlagen für die Meißener Modelleure befaßt. Es bleibt
noch die Möglichkeit, an den Grafen Sulkowski zu denken, der die Meißener Liefe-
rungen für das Japanische Palais überwachte und nach eigenem Ermessen zu diesem
Zweck Porzellan aus der Dresdener Niederlage zusammengestellt hat. Wenn Sulkowski
10*