Der Kunstmarkt 1922
Weltmarktpreise erreichten die Holzschnitte nicht,
denn Qualitäten von Maronobu (i638—1714) oder
Sharaku (1786—1796) oder Nagayoshi (gegen 1790)
waren nicht in der Sammlung — gelangten in jenen
Tagen alte Stilmöbel zum Ausgebot: ein Frankfurter
Garderobeschrank aus Nußbaumholz (18. Jahrhundert)
für 351000 Mark, ein großer, reichgeschnitzter Ham-
burger Barockschrank für 320000 Mark, ein Em-
piresekretär, hell Mahagoni, innen intarsiert, für
80000 Mark, ein Empiretisch, Mahagoni mit Bronze-
beschlag für 26000 Mark, eine Biedermeierkommode
für 12000 Mark. Diese Preise waren im Verhältnis zur
Markentwertung sehr mäßig. In Wien hätte man ge-
Abb. 5g. Kugelige Büchse mit Tierfries,
Korinthisch. 7. Jahrh. v. Chr. Durch-
messer 1 3,5 cm
sagt: „Geschenkt.“
Glückselig & Wärndorfer, Wien
Wien befand sich nämlich im Oktober in einem Stadium der Hausse, wie es Deutschland
damals noch nicht ahnen konnte. Die österreichische „Krone“ war im Kunsthandel so-
zusagen abgeschafft, denn der Kunsthandel rechnete nur in Dollar, Schweizer Franken
oder englischen Pfund, und man konnte die Beobachtung machen, daß die Wiener Preise
für manche Qualitäten oft die Weltmarktpreise überschritten. Die Preise für Kunst in
Kronen anzusetzen, war allerdings nicht opportun, wenn man bedenkt, daß eine ganze
Million Kronen im Oktober 1922 nicht mehr bedeutet hat als rund i25o Dollar. Selt-
samerweise aber glitten, im Gegensatz zu den Preisforderungen des freien Kunsthandels,
die Preise, die in den Kunstauktionen geboten wurden, nicht an die Weltmarktpreise
heran. So brachte in einer Antiken-Auktion bei Glückselig & Wärndorfer, die im all-
gemeinen guten Erfolg hatte, der Marmorkopf einer ägyptischen Sphinx, aber aus römi-
scher Zeit, 54ooooo Kronen, ein weiblicher Idealkopf, Cypern, 4- bis 5. Jahrhundert
v. Chr., 4 Millionen, eine Aphrodite aus der römischen Kaiserzeit i4 Millionen K. (da-
mals rund 3ooooo Mk.). Eine 8 Vs Zentimeter hohe ägyptische Katze aus Bronze, Abb. 58^
wurde für 58oooo K. verkauft, eine Holzfigur in Mumiengestalt (700 bis 800 v. Chr.) für
700000 K., eine kugelige Büchse, korinthisch, 7. Jahrh. v. Chr. Abb. 59^ für 2 700000 K.
Wien gab auch die Veranlassung, daß der deutsche Kunstmarkt im November eine
Auktion erlebte, die den gesamten internationalen Graphikhandel nach Leipzig zusammen-
rief: vom i3. bis 16. November sind nämlich bei C. G. Boerner Dubletten der Albertina
versteigert worden. Das Objekt schon reizte von vornherein: Dubletten der Wiener
Albertina! Und dazu: französische Kupferstiche des 18. Jahrhunderts. Blätter, deren Er-
werbung in die gleiche Epoche zurückreicht, in der sie entstanden sind, und Blätter von
tadelloser Erhaltung. Und schon der Beginn der Auktion wirkte überraschend. Denn
viele von den Preisen, die Boerner erzielte, übertrumpften die Weltmarktpreise für den
Weltmarktpreise erreichten die Holzschnitte nicht,
denn Qualitäten von Maronobu (i638—1714) oder
Sharaku (1786—1796) oder Nagayoshi (gegen 1790)
waren nicht in der Sammlung — gelangten in jenen
Tagen alte Stilmöbel zum Ausgebot: ein Frankfurter
Garderobeschrank aus Nußbaumholz (18. Jahrhundert)
für 351000 Mark, ein großer, reichgeschnitzter Ham-
burger Barockschrank für 320000 Mark, ein Em-
piresekretär, hell Mahagoni, innen intarsiert, für
80000 Mark, ein Empiretisch, Mahagoni mit Bronze-
beschlag für 26000 Mark, eine Biedermeierkommode
für 12000 Mark. Diese Preise waren im Verhältnis zur
Markentwertung sehr mäßig. In Wien hätte man ge-
Abb. 5g. Kugelige Büchse mit Tierfries,
Korinthisch. 7. Jahrh. v. Chr. Durch-
messer 1 3,5 cm
sagt: „Geschenkt.“
Glückselig & Wärndorfer, Wien
Wien befand sich nämlich im Oktober in einem Stadium der Hausse, wie es Deutschland
damals noch nicht ahnen konnte. Die österreichische „Krone“ war im Kunsthandel so-
zusagen abgeschafft, denn der Kunsthandel rechnete nur in Dollar, Schweizer Franken
oder englischen Pfund, und man konnte die Beobachtung machen, daß die Wiener Preise
für manche Qualitäten oft die Weltmarktpreise überschritten. Die Preise für Kunst in
Kronen anzusetzen, war allerdings nicht opportun, wenn man bedenkt, daß eine ganze
Million Kronen im Oktober 1922 nicht mehr bedeutet hat als rund i25o Dollar. Selt-
samerweise aber glitten, im Gegensatz zu den Preisforderungen des freien Kunsthandels,
die Preise, die in den Kunstauktionen geboten wurden, nicht an die Weltmarktpreise
heran. So brachte in einer Antiken-Auktion bei Glückselig & Wärndorfer, die im all-
gemeinen guten Erfolg hatte, der Marmorkopf einer ägyptischen Sphinx, aber aus römi-
scher Zeit, 54ooooo Kronen, ein weiblicher Idealkopf, Cypern, 4- bis 5. Jahrhundert
v. Chr., 4 Millionen, eine Aphrodite aus der römischen Kaiserzeit i4 Millionen K. (da-
mals rund 3ooooo Mk.). Eine 8 Vs Zentimeter hohe ägyptische Katze aus Bronze, Abb. 58^
wurde für 58oooo K. verkauft, eine Holzfigur in Mumiengestalt (700 bis 800 v. Chr.) für
700000 K., eine kugelige Büchse, korinthisch, 7. Jahrh. v. Chr. Abb. 59^ für 2 700000 K.
Wien gab auch die Veranlassung, daß der deutsche Kunstmarkt im November eine
Auktion erlebte, die den gesamten internationalen Graphikhandel nach Leipzig zusammen-
rief: vom i3. bis 16. November sind nämlich bei C. G. Boerner Dubletten der Albertina
versteigert worden. Das Objekt schon reizte von vornherein: Dubletten der Wiener
Albertina! Und dazu: französische Kupferstiche des 18. Jahrhunderts. Blätter, deren Er-
werbung in die gleiche Epoche zurückreicht, in der sie entstanden sind, und Blätter von
tadelloser Erhaltung. Und schon der Beginn der Auktion wirkte überraschend. Denn
viele von den Preisen, die Boerner erzielte, übertrumpften die Weltmarktpreise für den