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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 7.1888

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I. Theil: Abhandlungen
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Weiss, Edmund: Albrecht Dürer's geographische, astronomische und astrologische Tafeln
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https://doi.org/10.11588/diglit.5397#0217
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2o8

Edmund Weiss.

Dadurch wurde in den ersten Decennien des 16. Jahrhunderts auch Nürnberg ein Brennpunkt wissenschaft-
lichen Lebens, und insbesondere das Haus des reichen und kunstsinnigen Rathsherrn Willibald Pirkheimer,
eines der vertrautesten Freunde Dürer's, der Vereinigungspunkt aller Gelehrten und Künstler. Auf diese
Art stand Dürer ebenfalls mitten im Geistesleben seiner Zeit, und es können deshalb wissenschaftliche
Gegenstände behandelnde Werke der Holzschneidekunst, die aus dem Zusammenwirken eines solchen
Meisters mit den ersten Gelehrten der Wiener Hochschule entstanden, wohl mit Recht auch in wissen-
schaftlicher Beziehung als die höchsten Leistungen ihrer Zeit angesehen werden.

Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, beansprucht die von dem Historiographen und Hofmathe-
matiker Kaiser Maximilians I., Johann Stabius, entworfene, aus zwei Folioblättern bestehende, hier im
Abdrucke von den Originalplatten beigegebene Weltkarte, als der erste Versuch einer perspectivischen
Darstellung einer Erdhälfte, auch heute noch ein besonderes historisches Interesse. Das westliche Blatt
dieser Karte ist links unten mit dem Wappen des Verfassers Stabius, links oben mit dem seines Gönners,
des Erzbischofs von Salzburg und nachmaligen Cardinais Mathäus Lang von Wellenberg, geschmückt,
während das östliche Blatt, von Kränzen umsäumt, rechts oben die Dedication an den ebengenannten
Kirchenfürsten, rechts unten aber das kaiserliche Privilegium, welches den Nachdruck während zehn
Jahren nach dem Erscheinen verbietet, und als Erscheinungsjahr die Zahl 1515 enthält. Um den Planiglob
selbst sind zwölf geflügelte Köpfe als Symbol der aus den betreffenden Himmelsstrichen wehenden Winde
vertheilt, wobei Dürer den Charakter der einzelnen Winde dadurch andeutet, dass er den milden Flügel
mit Pfauenfedern, den scharfen hingegen solche mit stacheligen Federn gegeben hat.

Die Weltkarte von Stabius ist blos eine Land-, Fluss- und Gebirgskarte ohne Städtenamen und als
Projection die orthogonale Horizontalprojection gewählt, bei welcher als Mittelpunkt des Projections-
horizontes eine um 90° von den canarischen Inseln (Insulae fortunatae) abstehende Länge und die Breite
des Wendekreises des Krebses, oder der Annahme des Alterthumes zu Folge die von Syene in Ober-
egypten angenommen wurde. Es erscheint daher auf derselben von der östlichen Hemisphäre der Erde
die gesammte nördliche Hälfte mit Einschluss des Nordpols abgebildet, die südliche hingegen nur bis zu
einer Breite von 5o°, jenseits welcher damals allerdings noch Alles unbekannt war. Diese Weltkarte
umfasst also die ganze sogenannte alte Welt, und es sind auch in der That auf ihr nicht nur nach der
Geographie des Ptolemäus die bereits den Alten bekannten Länder eingetragen, sondern diese auch
durch die Entdeckungen der damaligen Zeit, wahrscheinlich nach dem berühmten Globus ergänzt, den
Martin Behaim 1492 für Nürnberg verfertigte und der auch heute noch dort aufbewahrt wird.

Bei der orthogonalen Horizontalprojection werden bekanntlich die Länder an den Rändern der Karte
sehr verzogen, und bei der durch die Natur der Sache bedingten Wahl der Lage des Projectionsmittel-
punktes trifft dies ausser dem fernen Osten Asiens leider auch ganz Europa und in besonders hohem Masse
die westlichen Theile desselben. Es ist daher schwer, gerade in diesen zu jener Zeit bestgekannten Ge-
genden der Erde einen Vergleich der Karte von Stabius mit neueren anzustellen, nichtsdestoweniger ist
doch schon ein Blick auf dieselbe sehr lehrreich. Man erkennt dabei sofort mit Staunen, wie genau bereits
zu Ptolemäus' Zeit das Innere Afrikas, namentlich die Lage der Nilquellen bekannt war, die erst in unseren
Tagen unter grossen Mühseligkeiten und Gefahren neuerdings wieder entdeckt werden mussten. Nicht
weniger auffallend tritt ein anderer Umstand hervor. Während die eine, die Lage eines Ortes auf der Erd-
oberfläche bestimmende Coordinate, die geographische Breite selbst bei dem zu jener Zeit erst ganz kürz-
lich entdeckten Gebieten, wie dem Cap der guten Hoffnung u. s. w. relativ recht genau wiedergegeben ist,
kommen in der anderen Coordinate, der geographischen Länge die gröbsten Unrichtigkeiten vor. So zieht
sich beispielsweise das Cap der guten Hoffnung so weit nach Osten hin, dass dadurch die Südspitze Afrikas
zu einem gekrümmten Hörne umgestaltet wird. Die Insel Madagaskar kommt, wie es scheint, sogar zwei-
mal vor, einmal als Minuthias in der nahezu richtigen Position, die ihr Ptolemäus gibt, das andere Mal
nach Marco Polo's Angaben als Madastar mehr als 20 0 östlicher. Allein von diesen neuen Regionen ganz
abgesehen, zeigen sich ähnliche Fehler auch bei manchen anderen längst bekannten Ländern, wie Schwe-
den und Norwegen, die dadurch eine verschobene S-Form annehmen. Es illustrirt dies recht deutlich den
damaligen Zustand der Wissenschaft, der wohl ohne besondere Schwierigkeit eine verhältnissmässig gute
 
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