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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 14.1893

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I. Theil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Die Bilderhandschriften Königs Wenzel I.
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https://doi.org/10.11588/diglit.5885#0306
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Die Bilderhandschriften Königs Wenzel I.

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einmal zu sehen; da diese aber durch die Geschosse der zahlreichen Belagerer Prags, namentlich in
der Schwedenzeit, hart mitgenommen wurde, ist nur mehr einer, rechts bei Austritt auf die Karlsbrücke,
vorhanden. Es sind dies die berühmten fünf Prager »Entlein«, ein Wahrzeichen der Stadt, an das sich
eine humoristische Volkssage knüpft. Ich setze sie mit den Worten Hammerschmidt's in seiner Historia
Pragensis (Manuscript der erzbischöflichen Seminarbibliothek in Prag, S.125) hieher: »Sunt ab utroque
turris latere quinque anates minu-
tulae, cum clypeolis sui artificis for-
san aut qui operi praefuit, honori ex-
sculptae, quas pueri et qui nunquam
Pragam viderunt, solerter oculis in-
dagunt. Sunt enim, ut dixi minutae,
et veteri proverbio et credulitate qua-
dam vulgi ridicula negant ab iis qui
honesto loco nati non fuerint omnes
quinque posse videri.«

Soweit Hammerschmidt. Aber
weder er noch die anderen alten Be-
schreiber von Prag (der 1716 erschie-
nene Entwurf der vortrefflichen Prager
Brücken, dann Redel, Schottky, Schal-
ler) haben die Reliefs jemals genau
angesehen; es sind weder fünf auf bei-
den Seiten noch sind sie so klein, dass
man eines übersehen könnte. Auch
die neueren Localhistoriker1 haben
den echt volksmässigen Witz, der in
der Sage liegt, nicht verstanden. Na-
türlich kann nur ein Nichteinheimi-
scher, der auf dem Kreuzherrenplatz
vor dem Brückenthurm steht, mit
seiner unehelichen Geburt gehänselt
werden: er kann nie mehr als vier
»Entlein« sehen; denn das fünfte be-
findet sich, wie der Prager Spottvogel
recht gut weiss, auf der anderen Wand
gegen die Kleinseite zu. Das Motiv der
Sage ist ja ein uralter Spass, der schon
in den Schwänken vom Pfaffen Ameis
und in dem niedersächsischen Eulen-
spiegel vorkommt (Schwank vom unsichtbaren Gemälde); wie er im Süden von Cervantes erzählt
wird, so tritt er in etwas veränderter Form im skandinavischen Norden auf, wo ihn Andersen zu einem
seiner Märchen (Geschichte vom nackten Kaiser) verwendet hat. Es ist eben einer jener volkstüm-
lichen Schwanke, die geistiges Eigenthum fast aller europäischen Völker sind.

Nach Schmitt (a. a. O.) soll sich in der Burg Tocnik2 eine Sculptur befinden: Wenzel thronend
und dabei die Schleife mit dem Eisvogel. Auch der Thorthurm des »Wälschen Hofes« in Kuttenberg,
welcher von Wenzel erbaut wurde, trägt dieses Symbol.

1 Vgl. z. B., was A. P. Schmitt in einem Feuilleton (»Die Wahrzeichen der Hauptstadt Prag«) der »Politik« vom 4. Mai
1875 vorbringt. 2 Es ist dies eine der Burgen, in der sich Wenzel nach Häjek's Bericht (ad a. 1397) mit der Baderin

Susanna aufgehalten haben soll.
 
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