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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Abhandlungen
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Kenner, Friedrich: Die Portätsammlung des Erzherzogs Ferdinand von Tirol
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0046
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40

Friedrich Kenner.

ihr ist das Bild in Versailles copirt;1 Bouchot vermuthet, dass das Original nach dem Leben gemalt
sei. Auch Rovillius hat diese Vorlage benützt.2 Eine andere Miniatur gleicher Provenienz zeigt die-
selben Züge, die Unbärtigkeit und dieselbe Wendung wie unser Bild; nur ist dort der Kopf noch mehr
ins Profil gestellt, der Hals tiefer herab bloss und der König mit Krone und Kronmantel dargestellt.3

Dagegen bilden die während des Feldzuges in Italien entstandenen Porträte eine Gruppe für sich,
die sich von den vorgenannten Bildnissen durch die kräftigeren Züge und die Vollbärtigkeit unter-
scheidet. Obenan steht jenes, welches Papst Alexander VI. von Pinturicchio in der Engelsburg malen
liess und zu welchem der König selbst dem Künstler sass.4 Giovio selbst besass, wie aus seinen Worten
hervorgeht, dieses Bild; es ist ohne Zweifel das in seinem Werke abgebildete, welches aus ihm van
Roo,5 Capriolo6 und Totti7 benützt haben. Der König erscheint hier im Profil, vollbärtig, in der Rü-
stung; der Hut ist mit einem Kronreif geschmückt. Auch die schöne Bronzebüste im Bargello zu
Florenz8 und die Medaillen,9 welche früher Nicolaus de Florentia zugeschrieben wurden, geben ihn
vollbärtig. Diese Porträte sind sicher 1494 und 1495 entstanden. Aber auch nach seiner Rückkehr aus
Italien trug sich der König vollbärtig, wie die Miniatur bezeugt, welche Henry Bouchot in einem
Gebetbuch der Pariser Bibliothek (Fond latin 1190), das auch aus der Sammlung Gaignieres stammt,
aufgefunden hat; sie ist im Jahre 1498 gemalt.10

Daraus ergibt sich die Bestimmung der Zeit, in welchem das Original unseres Bildes entstanden
ist; es gehört nicht zu den in Italien hergestellten Porträten des Königs sondern zu den älteren, in
Frankreich gemalten und steht zwischen den obengenannten Miniaturen aus den Jahren 1490, 1491 und
dem Frescogemälde des Bramantino 1495. Der Maler war wohl auch Jean Bourdichon aus Tours,
dessen schon oben (S. 32) Erwähnung gemacht wurde.

160, 161. Ludwig XII.,

»der Vater des Volkes«, ein Urenkel des Königs Karl V., Sohn des Herzogs Charles von Orleans und der Marie
von Cleve, geboren zu Blois am 27. Juni 1462, schmachtete nach der Thronbesteigung Karl VIII. drei Jahre in
der Gefangenschaft (vgl. Nr. 159), während welcher er sich namentlich mit Geschichte beschäftigte, und folgte,
in die Freiheit gesetzt, Karl VIII. auf dem Zuge nach Italien. Da die Söhne des Letzteren vor ihm gestorben
waren, wurde Ludwig sein Nachfolger auf dem Throne. Er begann sofort die Wiedereroberung von Neapel, das
er 1504 wieder an die Spanier verlor, und von Mailand, das Trivulzio einnahm (149g), kämpfte als Mitglied der
Ligue von Cambrai gegen die Venezianer, die er 1509 bei Agnadello besiegte, und entriss im folgenden Jahre
Bologna dem Papste Julius II. Dieser schloss hierauf mit Spanien, Venedig und der Schweiz die heilige Ligue,
deren Heer nach Wiedereinnahme von Bologna bei Ravenna durch des Königs Neffen Gaston de Foix am n. April
1512 eine schwere Niederlage erlitt. Nun trat Heinrich VIII. von England den Feinden des Königs bei, griff ihn
im eigenen Lande an und besiegte seine Bundesgenossen Navarra und Schottland, während Ludwig XII. selbst
bei Novara (Juni 1513) geschlagen wurde und eine weitere Niederlage im August desselben Jahres bei Guinegate
durch Kaiser Maximilian erlitt. In einem von Papst Leo X. vermittelten Waffenstillstände entsagte er seinen An-
sprüchen auf Italien, starb unter neuen Rüstungen am 1. Jänner 1515 und wurde in St. Denis beigesetzt.11 — In
erster Ehe war er seit 8. September 1476 mit Jeanne, Tochter des Königs Ludwig XL, geboren 1464, vermählt,
von der er sich nach seiner Thronbesteigung am 12. December 1498 scheiden liess; sie starb am 4. Februar 1505.
Die zweite Gemahlin war Anne von Bretagne, Witwe Karl VIII., vermählt am 8. Jänner 1499 (siehe oben Nr. 159),

1 Gal. hist. de Versailles, Tome IX, Serie X, Section 1, Nr. 1147.

2 Ausgabe von 1581, II, p. 214.

3 Abgebildet bei A. Heiss, Les Medailleurs de la Renaissance, Nicolo de Florence, p. 26.

4 Jovius I, 116: »Oris hoc gestu et armorum cultu Carolum, Galliae regem ejus nominis octavum, Alexander ponti-
fex in mole Hadriani pingi jussit, quum rex ipse pictori se exprimendum accurate praebuisset.« — Vgl. Vasari-Milanesi
II, 492.

5 Annales, p. 395.

6 Ritratti di cento capitani, Roma 1600, p. 81.

' Ritratti ed elogii di capitani illustri, Roma 1635, p. 145.

8 Louis Gonse, La sculpture francaise depuis le XlVe siecle, Paris 1895, p. 45. — A. Heiss, Les Medailleurs de la
Renaissance, Spinelli, p. 23.

' Ebenda, p. 28, pl. II, 4. — Armand, Les medailleurs Italiens I, 89, Nr. 22.

10 Gazette archeologique XIII (1888), p. io3, pl. 17.

11 Das Grabmal des Königs und der Königin Anne abgebildet in der Gazette des beaux-arts 1875, II, p. 520; vgl.
Louis Gonse, a. a. O., p. 65. Es ist zwischen 1519 und 1531 von verschiedenen Künstlern, in der Hauptsache wohl von
Jehan Juste, ausgeführt worden.
 
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