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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0050
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung.

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Jenseits des Thores dehnt sich eine weite Landschaft aus, der Ager Senensis (Taf. VII), den Pius IL,
der naturfreudige sienesische Papst, mit den gleichen Zügen beschrieben hat, die auch der Maler her-
vorhob, so dass man seine Worte fast für eine Beschreibung des Frescos halten möchte: »situs ipse
Senensis agri maxime civitati vicinus, supra quam dici possit, amoenum habet aspectum, colles clementer
elevati aut domesticis arboribus vitibusque consiti aut ad fruges arati iucundissimis imminent vallibus, in
quibus vel sata virent vel prata et rivi decurrunt perennis aquae . . . Adsunt et frequentes silvae seu
arte seu natura paratae, in quis dulcissimis modulantur aves, neque tumulus abest, in quo cives sub-
urbana praedia non magnifice aedificaverint.« Das weite Gartenland mit den Vignen und Landhäusern,
das ein Geäder von Flüssen und Strassen durchzieht, darüber die Reihen sanfter Hügel, die sich am
Horizonte emporthürmen, berührt wie eine Vorahnung florentinischer Landschaften des folgenden
Jahrhunderts. Da ist nichts von dem traditionellen Felsgerüste, das den Aufbau der Höhen stets in
einer Richtung nach dem Hintergrund verschiebt; statt des zersprungenen Felsbodens ist die Cultur-
schichte wiedergegeben; runde Hügel ersetzen die kantigen Felsen. Der Maler versucht sogar den
Charakter der Fernsicht, der der Landschaft wegen des hohen Horizontes zukommt, festzuhalten und
opfert gewisse Einzelheiten der Gesammtstimmung: Auf dem Abhänge, der sich von der Stadtmauer
gegen den Vordergrund abdacht, stehen die Reben in einem Weinberg zu langen Reihen geordnet;
man sieht nur ein paar Stämme blitzen, über denen das graugrüne Laub angedeutet ist. Jenseits der
Landstrasse liegt ein Kornfeld, durch das Jäger hetzen; fast verschwinden die Hunde in den breiten
Wellen der Halme. Von dem Weingarten, der sich weiter rückwärts anschliesst, gewahrt man nur mehr
das unbestimmte Grün der Blätter, aus dem sich die Stackete der Pfähle abheben, und noch tiefer in der
Landschaft fallen bloss die regelmässigen Furchen der Felder auf.

Die Raum Verhältnisse sind im Allgemeinen übersichtlich angedeutet: links die Stadtmauer zur
Bezeichnung des Vordergrundes, in der Mitte die Ebene, in der Ferne ein Wall von einander über-
ragenden Hügelreihen, zu denen niedrigere zu beiden Seiten vom Vordergrunde überleiten. Die ein-
zelnen Felder und Gärten stehen für sich ganz gut im Räume; trotzdem will sich das Bild dem Reich-
thume an Einzelheiten gemäss nicht vertiefen. Besteht die Landschaft bei Giotto nur aus dem Vorder-
grunde, so rückt sie bei Ambrogio vollständig in die Ferne, deren feinere perspectivische Abstufung
auch dem kühnen Sienesen ein Geheimnis bleibt. Das grosse Panorama der Vita rustica hat einen
lehrhaften Zweck und löst keine intimeren landschaftlichen Wirkungen aus; die Landschaft bildet nur
den Rahmen, innerhalb dessen sich die geschäftige Thätigkeit des handeltreibenden Bürgers, die vom
Frieden beschützte Arbeit des Bauern entfaltet. Das gegenständliche Interesse herrscht und in den
kleinen Genrescenen, wie der Hasenjagd, dem Weinberge, der belebten Strasse und den Aeckern mit
den pflügenden und dreschenden Bauern, in denen der Maler eine Fülle lebensfrischer Beobachtungen
vor uns ausbreitet, ergänzen sich Staffage und Landschaft auf das Glücklichste.

Ambrogio Lorenzetti war unter den Idealisten des Trecento der einzige Realist und sein Beispiel
hätte die Landschaftsmalerei von dem unfruchtbaren Formenwesen der Tradition befreien können.
Aber es hat den Anschein, als ob die Zeitgenossen die grundstürzende Bedeutung seiner Leistungen gar
nicht erkannt hätten. Nur Aeusserlichkeiten, wie die runden Bergkuppen, ahmen sie nach.1 Nicht ein-
mal bei den Malern aus Siena2 bemerkt man Regungen des Natursinnes. Barna3 und Bartolo di Fredi4
pflegen auf ihren Fresken eine äusserst primitive Darstellung der Landschaft, die an altchristliche Mo-
saiken erinnert; Taddeo di Bartolo verzichtet in der Regel auf landschaftliche Hintergründe. So ver-
kümmern die Anfänge einer naturalistischen Landschaftsmalerei.

1 Fresco der Schlacht von Asinalunga in der Sala del gran Consiglio des Palazzo Pubblico in Siena. Bilder des Paolo
di Giovanni in der Gallerie von Siena.

2 Reste grösserer landschaftlicher Compositionen befinden sich in der Akademie von Siena (II. Saal, Nr. 15 und 16):
Die Ansicht einer am Meere gelegenen Stadt und eines Sees inmitten von Hügeln unter dem Namen »maniera di Ambr. Loren-
zetti«. Der frei behandelte Boden hat wenig von den traditionellen Felsformen. Die Thäler sind mit sorglich eingehegten
Gärten erfüllt. Eine ähnliche Landschaft auf einem anderen verdorbenen Schulbild (Nr. 37).

3 S. Gimignano, Pieve, Fresken: Growe und Cavalcaselle, a. a. O. II, 281 f.

4 S. Gimignano, Pieve, Fresken (1356 datirt): Crowe und Cavalcaselle II, 3l8 f.
 
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