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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0082
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung.

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geneigten Felsplatten, Gestrüpp und Bäumchen spriessen aus den Ritzen der Abhänge frei in die Luft
hervor mit knorrigem, wetterhartem Geäst und spärlichem, vom Wind zerzausten Laub. Mitten auf
der Spitze dieser märchenhaften Felsgebilde, Felsthore, Felsbrücken (die riesigste auf dem Fresco mit den
beiden Eremiten, Appartamenti Borgia, 3. Zimmer) breitet sich eine Mooskuppe oder eine kleine Wiese
aus, wo eine ganze Herde weidet (Santa Maria del Popolo, Presepio). Derlei abenteuerliche Motive
hatte schon der muthmassliche Lehrer Pinturicchios angebracht (Fig. 41); aber da stehen sie wie künst-
lich aufgerichtete Decorationen unvermittelt auf heiteren Wiesen. Pinturicchio aber scheint an ihnen
die Wildheit und das Spiel der ungebundenen Naturkräfte, das, was wir in der Landschaft »romantisch«
zu nennen belieben, ausdrücken zu wollen. So auf der frühen »Geburt Christi« (Santa Maria del
Popolo), wo man zwischen dem Felsgeklüft und den Ruinen, in die der Stall nothdürftig hineingebaut
ist, in ein tiefes Bergland, auf einen starken Fluss, schattige Thäler und zerrissene Felshöhen hinaus-
blickt. Oder an der linken Seite der »Glorie des heil. Bernhard« (Araceli, Capella Buffalini), wo an
die steile Bergwand'ein Kirchlein angeklebt ist und ein Saumweg knapp am Abgrund um die Felsen-
ecke führt. Darin möchte auch die Gestaltung der Felsen bestärken: da ist nichts polirt und behauen
oder zurechtgerückt; an jedem dieser Blöcke hat der Sturm seine Wuth ausgelassen, jeden hat der
Regen gefurcht, der Frost zerfressen, dass das verwitterte nackte Gestein zu Tage steht; und doch hat
die Natur auch an sie ihre Fülle verschwendet, ihre altersgrauen Knochen mit einem grünen Teppich
und mit wucherndem Gestrüpp bekleidet. Zu häufig nur nehmen solche Naturspiele, die von jeher auf
Pinturicchios Landschaften am meisten aufgefallen sind, die Gestalt von naturunmöglichen Phantaste-
reien an, wie jener Riesenfelspilz auf den Fresken von Araceli (Capella Buffalini: »Stigmatisation des
heil. Franciscus«). Doch nehmen sie auf seinen Hintergründen geringen Raum ein. Pinturicchio ist
der erfindungsreichste Landschafter im Quattrocento. Anspruchslose Motive gibt er ungemein reizvoll
wieder, wie den Durchblick durch die überwölbte Halle auf den lichten Spiegel eines Sees, der zwischen
Gesträuch hervorleuchtet, mit dem fernen Hintergrund bläulicher Berge im Abendschimmer (Santa
Maria del Popolo, erste Kapelle rechts). Er ist der erste, der Waldeinsamkeit so recht zu schildern
weiss: der Knabe Bernhardin wandelt eifrig lesend in seinem härenen Mantel auf dem moosigen Wald-
saum vor seiner Felshöhle, deren Eingang buschiges Strauchwerk versteckt (Araceli). Wie lauschig
sind nicht die baumreichen Gründe mit dem Blick auf die tiefliegende, in Abendschein getauchte
Ferne auf dem Altarwerk in der Gallerie zu Perugia (»Hieronymus« u. s. w.); das alte, oft angeschlagene
Thema der Eremitenlandschaft, mit welchem Zauber der Stimmung erscheint es hier umkleidet.
Gruppen von Bäumen und Gesträuch fehlen nie, seine Schüler bringen sie oft in übermässiger Fülle
und Grösse an. Viel des Lieblichen bietet das dritte Zimmer der Appartamenti Borgia, wie den tief-
grünen Wiesengrund, den das Silberband eines Flusses durchschlängelt (»Heimsuchung«, »Flucht der
heil. Barbara«) oder das weite einsame Thal der Campagna mit den Ruinen des Colosseums. Eines der
reizendsten Bildchen findet sich aber auf dem zweiten Fresco der Libreria zu Siena: durch die hohen
Arcaden einer Loggia blickt man auf einen tiefen Meerbusen hinaus, in den im Vordergrunde ein
Fluss mündet. Auf der Halbinsel zwischen Fluss und See erhebt sich ein aus röthlichen Blöcken ge-
schichteter Fels mit überhängenden Grasmützen, an dessen Fuss ein paar phantastische Gebäude;
weiter rückwärts, wo sich die Landzunge in das Wasser schiebt, steigen die Thürme und Kuppeln
einer ausgebreiteten Stadt auf. Buschige, dichtbelaubte Erlen bestehen den Rand des Flusses, dessen
leise Wellen den Widerschein der Bäume mit ihren mächtigen, bis an den Boden reichenden Kronen
erzittern machen.

Pinturicchio versteht es, auch vollere Register spielen zu lassen. Seine grössten Landschaften
sind Ausblicke über ein weiträumiges Vorland, zwischen Felsbastionen und bewachsenen Hügeln hin-
durch, vorbei an den vollen Kronen und den Büschen des erhöhten Vordergrundes auf ein breites
Küstenland, in welches das Meer tief einschneidet. Flüsse mit Schiffen durchpflügen das Land, das
lange Zungen in die See vorstreckt. Klippen und Vorgebirge heben sich aus dem Wasser, über sie
gleitet der Blick in die unendliche lichtverklärte Ferne. Zuweilen sieht man noch, weit draussen, aus
der hohen See eine Insel, einen Küstenvorsprung in verschwommenen Umrissen auftauchen.
 
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