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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0086
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung. 8 I

geschwungenen Linien, die jede Verschneidung meiden, in den zierlichen Bäumchen, die etwas von
dem eleganten Schwung der Figuren haben, und vor Allem in der trotz kleiner Farbengegensätze ein-
heitlichen Tönung der Landschaft und dem leisen, fast unmerklichen Uebergleiten der Ferne in den
unbestimmten Duft der Luft.

Nur Schöpfungen aus der besten Zeit weisen die ganze Fülle und Kraft der Stimmung auf. In
den Jahren seines Alters hat sich Perugino nur selten zu besseren Werken wie der »Kreuzigung« von
1515 (Siena, Sant'Agostino) oder der von 1518 (Florenz, Akademie) aufgeschwungen. Die Gründe
werden kahl und einförmig, die Vegetation verschwindet, die Luftperspective erstarrt zu einer Abfolge
conventioneller Töne. Die umbrischen Schüler ahmen diese kraftlose Manier nach, ohne ihr durch
eigenes Naturstudium frisches Leben einflössen zu können.1 Selbständig gesehene Motive, wie die
Flusslandschaft auf dem »Johannes auf Patmos« des Berto di Giovanni2 oder der Wald mit dem Effect
der durchscheinenden Sonne auf einer »Stigmatisation des heil. Franciscus« von Spagna3, bilden Aus-
nahmen.

Der junge Raphael tritt ganz in die Fusstapfen Peruginos. Dieselben weiten Gründe, der Fluss
in der Mitte der Landschaft, der Vordergrund neutral oder von Blumen belebt, die fernen, oft hell be-
leuchteten Bergzüge niedrig aber von entschiedener Formung. Nur fehlt dem Schüler das perspec-
tivische Raffinement des Lehrers. Er drückt die Ferne nicht auf einem möglichst schmalen Streifen
zusammen sondern nimmt meist einen natürlichen Horizont an, der wenig unter der Augenhöhe der
Figuren liegt; ja er sucht die Landschaft auszubreiten, wobei es denn gelegentlich geschieht, dass Vor-
dergrund und Ferne zwei verschiedene Horizonte erhalten (»Madonna im Grünen«, Wien, Hofmuseum).
Landschaften wie die der »Madonna Terranuova« (Berlin, kgl. Museen) oder der »Grabtragung« (Rom,
Gallerie Borghese) stehen unter florentinischem Einfluss.4

Weit fruchtbarer als in der eigenen Schule äussern sich die Einwirkungen Peruginos bei den
bolognesischen Landschaftsmalern, vor Allem bei Fr. Francia, und bei den Florentinern, in deren
Heimat der Maler seine Meisterwerke geschaffen. Raffaelino del Garbo5 geräth ganz in den Bann der
Dämmerungslandschaften mit dem tiefen Gesammtton und den gedämpften Farben. Auch Fra Barto-
lommeo,6 Fr. Granacci,7 Albertinelli,8 Botticini9 und selbst Andrea del Sarto10 stehen unter ihrem
Einfluss.

Wie in Umbrien, so war auch in Florenz der Landschaftsmalerei nur ein kurzer Sommer be-
schieden. Der Thätigen sind hier mehr, die Leistungen vielfältiger. Um die Grossen Filippino Lippi,
Leonardo da Vinci, Piero di Cosimo kreisen kleinere Gestirne wie Lorenzo di Credi, Raffaelino del
Garbo und Franciabigio.

Von den älteren dieser Künstler (der dritten Generation des Quattrocento bis auf Raffaelino,
Andrea del Sarto und seine Genossen) ist Filippino Lippi am klarsten erkennbar; denn seine Haupt-
werke haben sich erhalten und sind im Ganzen wohl datirt. Die Eigenart seiner Landschaften lässt
sich nicht mit ein paar allgemeinen Sätzen umschreiben. Auch auf seinen Gründen kehren gewisse
Motive wieder; aber er beobachtet so zart und weiss so fein zu componiren, dass seine Landschaften
stets ein neues Ganzes bilden, dem gegenüber wenige Analogien und Wiederholungen nichts bedeuten.
Man darf sich die Mühe nicht verdriessen lassen, Werk für Werk vorzunehmen, um seinen Reichthum

1 Z. B. Spagna, die neun Musen, Rom, Capitolinische Gallerie; Geburt Christi, Vaticanische Gallerie.

2 Perugia, Gall. coram, Sala di Giannicola Manni, Nr. 14.

3 Ebenda, Sala della scuola del Perugino, Nr. 26 (Fresco).

* Die Staffirung der Landschaften mit Städten, die bei Raphael weitaus reicher ist als bei Perugino, geht auf Pintu-
ricchios Einfluss zurück.

5 Madonna mit Heiligen, Florenz, Santa Maria Nuova, Gallerie (1500), Gall. Corsini (1502), Santo Spirito (1505).

6 Madonna mit Heiligen, Lucca, Dom; Gottvater mit zwei Heiligen, ebenda, Pinakothek.
' Gürtelspende, Gefangennahme Josefs, Uffizien.

8 Crucifixus, Florenz, Certosa.
' Kreuztragung, Uffizien.

10 Heilung der Epileptischen durch den heil. Philippus Benizzi, Florenz, Sant' Annunziata.
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