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Hermann Julius Hermann.
Das Dccrctum
Gratiani des Lo-
renzo Roverella.
Fig. 102 Stück einer Rand-
leiste mit der Künstlerinschrift
aus dem Missale des Cardi-
nais Ippolito I.
(Innsbruck, k. k. Universitäts-
bibliothek, Cod. Nr. 43, f. 245').
andere an Grandi oder an Lorenzo Costa erinnern, so spricht doch die Orna-
mentik der Randleisten, die Composition der Miniaturen und die Landschaft
für einen anderen Meister als den Miniator des Breviariums. Dass Dome-
nico della Rovere durch Ippolito d'Este oder durch seinen Verwandten auf
dem Bischofstuhle von Ferrara, Bartolomeo della Rovere, mit ferraresischen
Meistern in Beziehung getreten sein kann, ist leicht möglich; naheliegender
erscheint mir allerdings, zumal die Verwandtschaft der Miniaturen mit ferra-
resischen Werken doch recht äusserlich ist, nachfolgende Hypothese. Der
Cardinal Domenico della Rovere, der Gründer des Domes zu Turin, weilte
lange in Rom, wo er einer der einflussreichsten Cardinäle am Hofe Six-
tus IV. della Rovere war. Ein eifriger Büchersammler, beschäftigte Dome-
nico della Rovere, wie die Mehrzahl der aus seinem Besitz herrührenden
Codices in der R. Biblioteca Universitaria zu Turin beweist, vornehmlich
toscanische Miniatoren. Nach Turin als Erzbischof der Stadt zurückgekehrt,
mag er jenes dreibändige Missale des R. Archivio di stato haben ausführen
lassen, dessen Miniaturen in der Mehrzahl französischen Miniatoren ange-
hören. Am Ende des XV. Jahrhunderts blühte in Piemont eine Malerschule
empor, in der sich in eigenthümlicher Art die Stilrichtung Mantegnas mit
lombardischem Kunstempfinden mengte. Macrino d'Alba und Defen-
dente de'Ferrari gehörten diesem Kreise an, dessen Centrum die Schule
von Vercelli war, aus der neben Sodoma Gaudenzio Ferrari, der hervor-
ragendste piemontesische Meister des Cinquecento, hervorging. Von den
älteren Meistern ist es vor allem Macrino d'Alba, der sich der mantegnesken
Richtung anschloss. Wie in Ferrara, das allerdings am Ende des Quattro-
cento eine weit hervorragendere Stellung einnahm, kreuzten sich auch in
Piemont die Richtungen des Mantegna und der Lombardei. Die Gleichartig-
keit der Quellen hatte eine, wenn auch nur äusserliche Aehnlichkeit der
Bilder des Macrino mit ferraresischen Werken zur Folge. Auch in den Mi-
niaturen des Missales finde ich diese eigenartige Stilmischung, so dass ich
vermuthe, dass sie von einem Miniator der piemontesischen Schule
herrühren. Wäre dies schon dadurch naheliegend, dass der Cardinal Erz-
bischof von Turin war, so finde ich vor Allem in den landschaftlichen
Hintergründen Anklänge an die Alpenwelt Piemonts. Das herrlichste
Blatt des Codex, das Crucifix auf f. i32', erinnert allerdings, wie Venturi
bemerkt hat, in einigen Figuren an ferraresische Gestalten; in der Com-
position und in der Landschaft weicht es aber von den ferraresischen Mi-
niaturen ab. Die vortreffliche Randleiste mit den Passionsscenen in acht
Medaillons ist mit zarten Blümchen, die einer krystallenen Flasche ent-
spriessen, auf schwarzem Grund gemalt und steht lombardischen Manu-
scripten nahe. Jedenfalls war der Miniator ein äusserst geschickter Meister,
wenn auch die Mehrzahl der Miniaturen flüchtig in der Ausführung ist; aber
in einzelnen seiner Bildchen überrascht die Lebendigkeit der Darstellung
und die Ursprünglichkeit der Erfindung.
Ebenso möchte ich bezweifeln, dass die reizenden Miniaturen des
Decretum Gratiani des Lorenzo Roverella einem ferraresischen Meister
angehören. Die kostbare Cimelie ist eine Incunabel mit reichstem Miniatu-
renschmuck von verschiedenem Kunstwerth. Venturi unterschied i3 Minia-
toren, die seiner Ansicht nach dem Giraldi verwandt erscheinen. Zwei Ein-
tragungen sind bemerkenswerth:
Hermann Julius Hermann.
Das Dccrctum
Gratiani des Lo-
renzo Roverella.
Fig. 102 Stück einer Rand-
leiste mit der Künstlerinschrift
aus dem Missale des Cardi-
nais Ippolito I.
(Innsbruck, k. k. Universitäts-
bibliothek, Cod. Nr. 43, f. 245').
andere an Grandi oder an Lorenzo Costa erinnern, so spricht doch die Orna-
mentik der Randleisten, die Composition der Miniaturen und die Landschaft
für einen anderen Meister als den Miniator des Breviariums. Dass Dome-
nico della Rovere durch Ippolito d'Este oder durch seinen Verwandten auf
dem Bischofstuhle von Ferrara, Bartolomeo della Rovere, mit ferraresischen
Meistern in Beziehung getreten sein kann, ist leicht möglich; naheliegender
erscheint mir allerdings, zumal die Verwandtschaft der Miniaturen mit ferra-
resischen Werken doch recht äusserlich ist, nachfolgende Hypothese. Der
Cardinal Domenico della Rovere, der Gründer des Domes zu Turin, weilte
lange in Rom, wo er einer der einflussreichsten Cardinäle am Hofe Six-
tus IV. della Rovere war. Ein eifriger Büchersammler, beschäftigte Dome-
nico della Rovere, wie die Mehrzahl der aus seinem Besitz herrührenden
Codices in der R. Biblioteca Universitaria zu Turin beweist, vornehmlich
toscanische Miniatoren. Nach Turin als Erzbischof der Stadt zurückgekehrt,
mag er jenes dreibändige Missale des R. Archivio di stato haben ausführen
lassen, dessen Miniaturen in der Mehrzahl französischen Miniatoren ange-
hören. Am Ende des XV. Jahrhunderts blühte in Piemont eine Malerschule
empor, in der sich in eigenthümlicher Art die Stilrichtung Mantegnas mit
lombardischem Kunstempfinden mengte. Macrino d'Alba und Defen-
dente de'Ferrari gehörten diesem Kreise an, dessen Centrum die Schule
von Vercelli war, aus der neben Sodoma Gaudenzio Ferrari, der hervor-
ragendste piemontesische Meister des Cinquecento, hervorging. Von den
älteren Meistern ist es vor allem Macrino d'Alba, der sich der mantegnesken
Richtung anschloss. Wie in Ferrara, das allerdings am Ende des Quattro-
cento eine weit hervorragendere Stellung einnahm, kreuzten sich auch in
Piemont die Richtungen des Mantegna und der Lombardei. Die Gleichartig-
keit der Quellen hatte eine, wenn auch nur äusserliche Aehnlichkeit der
Bilder des Macrino mit ferraresischen Werken zur Folge. Auch in den Mi-
niaturen des Missales finde ich diese eigenartige Stilmischung, so dass ich
vermuthe, dass sie von einem Miniator der piemontesischen Schule
herrühren. Wäre dies schon dadurch naheliegend, dass der Cardinal Erz-
bischof von Turin war, so finde ich vor Allem in den landschaftlichen
Hintergründen Anklänge an die Alpenwelt Piemonts. Das herrlichste
Blatt des Codex, das Crucifix auf f. i32', erinnert allerdings, wie Venturi
bemerkt hat, in einigen Figuren an ferraresische Gestalten; in der Com-
position und in der Landschaft weicht es aber von den ferraresischen Mi-
niaturen ab. Die vortreffliche Randleiste mit den Passionsscenen in acht
Medaillons ist mit zarten Blümchen, die einer krystallenen Flasche ent-
spriessen, auf schwarzem Grund gemalt und steht lombardischen Manu-
scripten nahe. Jedenfalls war der Miniator ein äusserst geschickter Meister,
wenn auch die Mehrzahl der Miniaturen flüchtig in der Ausführung ist; aber
in einzelnen seiner Bildchen überrascht die Lebendigkeit der Darstellung
und die Ursprünglichkeit der Erfindung.
Ebenso möchte ich bezweifeln, dass die reizenden Miniaturen des
Decretum Gratiani des Lorenzo Roverella einem ferraresischen Meister
angehören. Die kostbare Cimelie ist eine Incunabel mit reichstem Miniatu-
renschmuck von verschiedenem Kunstwerth. Venturi unterschied i3 Minia-
toren, die seiner Ansicht nach dem Giraldi verwandt erscheinen. Zwei Ein-
tragungen sind bemerkenswerth: