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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 25.1905

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I. Theil: Abhandlungen
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Meder, Joseph: Zwei Kartonzeichnungen Giulio Romanos
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https://doi.org/10.11588/diglit.5915#0085
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ZWEI KARTONZEICHNUNGEN GIULIO ROMANOS.

Von

Josef Meder.

s müssen seltsame Umstände zusammengewirkt haben, daß eine Zeichnung wie
der nebenan abgebildete Madonnenkopf (Tafel X) von so ausgesprochen Raf-
faelischem Schulcharakter einst unter das Werk des holländischen Malers Abra-
ham Bloemaert gerathen und als von diesem Meister herrührend selbst in dem
Katalog der Albertina1 verzeichnet werden konnte. Ein feiner Madonnenkopf
von Raffaelischer Holdseligkeit, der, von vorne gesehen, in andächtiger Stim-
mung die Augen wie auf einen Gegenstand gerichtet hat. Die vorne gescheitelten
Haare umrahmen die freie Stirne und fallen dann links in großen Locken herab. Das Kopftuch ruht,
geschmackvoll geordnet, auf dem Scheitel und fällt dann rechts in breiten Falten auf die Schulter.

Die natürliche Größe des Kopfes, die breite, kräftige Kreidetechnik auf einem aus vier Bogen zu-
sammengeklebten Papier lassen uns vor allem nicht im Zweifel, daß hier ein Teil einer Kartonzeich-
nung vorliegt, die einst mit noch anderen Blättern als Vorlage zu einem Bilde gedient hatte. Sie
weist viele Schäden, Flecke und Restaurierungen auf und es gab große Schwierigkeiten, eine einiger-
maßen gute Reproduktion davon zu bringen.

Was wir mit dem Begriffe des Raffaelischen Madonnentypus verbinden, das findet sich hier in
dem Kopfe ausgeprägt und es darf daher nicht wundernehmen, wenn bereits Morelli gelegentlich einer
Durchsicht der holländischen Albertina-Zeichnungen unser Blatt mit der Notiz «Raffaello (?)» versah.
Die große freie Stirne, die weit auseinandergestellten Augen, die breite Nasenwurzel, welche in die
sanft geschwungenen Augenlider übergeht, das süße, inneres Glück verratende Lächeln um den Mund,
das alles bringt ja dieser Kopf zum Ausdruck, nur etwas derber, kräftiger und weniger innig als bei
Raffael.

Ein Zufall wollte es, daß durch die Neuaufstellung der fürstlich Liechtensteinschen Handzeich-
nungen mir ein männlicher Kopf von ganz ähnlichem Gepräge in die Hand kam,2 der schon durch die
gleiche äußere Ausstattung an die Albertina-Zeichnung erinnerte (Tafel XI). Auch hier wieder fast
Naturgröße, die breite Kreidetechnik, das aus vier Teilen zusammengeklebte und außerordentlich ge-
bräunte Papier. Während die Madonna dem Beschauer zugewendet ist, zeigt der von reichem Haar-
gelock umgebene männliche Kopf— und zwar allem Anscheine nach der eines heil. Josef ■— eine Pro-
filstellung. Außerdem ist hier noch seine linke Hand sichtbar, welche den knotigen Stab fest umfaßt,
und in der linken unteren Ecke ein Stück drapierte Schulter einer zweiten abgeschnittenen Figur.
Diese Zeichnung trägt unten in älterer Schrift den Namen «Rafaeli», schließt diesen Meister aber auf
den ersten Blick aus.

1 Albertina, Inv.-Nr. 8109, 44X35 cm; Wasserzeichen: Anker im Kreise, darüber sechseckiger Stern. In Wickhoffs
Katalog nicht erwähnt, weil derselbe die holländischen Schulen nicht enthält.

2 Portef. V, Nr. 9. 40-5 X 3o'5 cm, alter Bestand, gleichfalls mit dem Wasserzeichen: Anker im Kreis, darüber sechs-
eckiger Stern.
 
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