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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 25.1905

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I. Theil: Abhandlungen
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Romdahl, Axel L.: Pieter Brueghel der Ältere und sein Kunstschaffen
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https://doi.org/10.11588/diglit.5915#0153

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Pieter Brueghel d. Ä. und sein Kunstschaffen.

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Wirklichkeit: dummes Erstaunen und ausgelassene Freude beim Zechen und Tanzen, Freundschaft
bei dem Becher und Zorn nach dem Kartenspiele, Geiz und Bettlerjammer, brutale Gewalt und blasser
Todesschrecken, grauenhafte pathologische Erscheinungen, Blindheit und Fallsucht. Sein Vermögen,
das Charakteristische zu erfassen und wiederzugeben, durchläuft eine leuchtende Entwicklung. In dem
frühen «Schlittschuhlaufen auf dem Stadtgraben» (Fig. 2) ist das Verständnis für Stellungen und Be-
wegungen schon ausgeprägt; aber die glotzäugi-
gen Gesichter der ersten Bilder zeigen, wie es
nicht anders zu erwarten ist, daß der kleine
Maßstab der graphischen Blätter der geschickten
Schilderung des Ausdruckes nicht förderlich sein
konnte, während die Spätwerke, wie die «Blin-
den» und die «Hochzeit», auch im dieser Hin-
sicht unübertroffen sind.

Erstaunlich ist auch die Sicherheit, Klar-
heit und Kürze, mit der er seine Absichten aus-
zudrücken versteht. In einem Bilde wie die
«Kreuztragung» im Hofmuseum wimmelt es von
prächtigen, mit der Leichtigkeit und Kühnheit
eines Brouwer wiedergegebenen Physiognomien.
Und «Der Raucher» des eben genannten Meisters
kommt uns unabweislich in den Sinn bei Be-
trachtung des trefflichen Brustbildes eines gäh-
nenden Bauers, das nach einem jetzt leider ver-
schollenen, seinerzeit im Besitze Rubens' befind-
lichen Originale von Lukas Vorsterman gestochen
ist. Dieser Gähner (Fig. 3g) wird wohl die erste
hervorragende Probe jener Volkstypengattung
sein, die später von Frans Hals und anderen ge-
pflegt wurde.1 Andere Werke Brueghels von
dieser Art sind ein Profilbild eines alten Weibes
im Germanischen Museum und ein Paar aqua-
rellierte, gezeichnete Bauernköpfe im Dresdener
Kupferstichkabinett (Fig. 3y, 38). Eine größere
Folge von gestochenen Ovalmedaillons mit Brue-

ghelschen Bauerntypen scheinen Köpfe aus den Gemälden des Meisters wiederzugeben.2

Das andere Hauptmittel der Erzählerkunst Brueghels war die außerordentliche Schilderung der
Bewegung, vor allem ihres Charakters. Die niederländische Malerei des XV. Jahrhunderts gibt die Be-
wegung nur höchst unvollkommen wieder; die Romanisten fassen das Problem bloß äußerlich formell,
Brueghel ist auch hier ein origineller Neuschöpfer. Wenn die üblichen welschen Vorbilder ihm auch nütz-
lich gewesen sein mögen, schließt er sich doch nicht an diese an sondern ist eher mit der mittelalterlich

Fig. 40. Kopf eines Hirten in der kais. Galerie zu Wien.

1 Als ein noch früheres Beispiel ist der sogenannte «Hirte», Nr. 720 im Hofmuseum (Fig. 40), zu erwähnen. Jetzt im
Katalog als ein Werk Pieter Brueghels d. Ä. aufgeführt, scheint mir das Bild von viel früherem Ursprünge, aus dem XV. Jahr-
hundert zu sein. Weder die fetten warmen Farben, die minutiöse harte Mache dieses lebensvollen Greisenkopfes noch der Typus
und die Tracht haben mit Brueghel die geringste Ähnlichkeit. Auch die von Dr. v. Frimmel (Kleine Galeriestudien, N. F. II,
S. 36) vorgeschlagene Identifizierung des Bildes mit dem Schafhirten «vom alten Prügel», Nr. 21 des Prager Inventars vom
Jahre 1621, ist nicht zulässig, da dieses Bild im Jahre 1648 von den Schweden erbeutet wurde (O. Granberg, a. a. O.). Die
positive Lösung der Frage nach dem Urheber, die ich mir jetzt nicht zutraue, dürfte für die Geschichte der ganzen Schule
nicht unwichtig sein.

2 J. C. Visscher excudit. Joachim Otten et F. de Wit excudit, ohne Stechernamen. Nach der freundlichen Mitteilung
des Herrn Direktors H. Hymans gibt es auch eine Ausgabe mit Versen.

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