Ambrogio Preda und Leonardo da Vinci.
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chen, zu niedrig abgeschätzt worden sei, und bitten namentlich, daß ihnen das Madonnenbild, wovon
solches ganz besonders gelte, zurückgegeben werde («lasano ali dicti exponenti dicta nostra dona facta
a olio»), da sie Gelegenheit hätten, es anderwärts günstig zu verkaufen. Nun besteht das eigentümliche
Verhältnis, daß das Londoner Exemplar, das offenbar später entstanden ist als das Pariser, sich bis
gegen das Ende des XVIII. Jahrhunderts in derselben Kirche S. Francesco in Mailand, für die die Kom-
position ursprünglich bestellt worden war, in der Kapelle der Conception erhalten hat, während das
Pariser sich schon 1625 in Frankreich, im Schloß von Fontainebleau, nachweisen läßt.1 Daß das Lon-
doner Bild in Mailand allgemein für das Original Leonardos galt, geht aus den Erwähnungen der
Lokalschriftsteller, der Lo-
mazzo, Torre usw., hervor; fög.t &
ferner aus dem Umstände, daß
alle alten Kopien, mit Aus-
nahme der in der Ambro-
siana und einer bei Cheramy
in Paris, danach und nicht
nach dem Pariser Exemplar
angefertigt worden sind. Bei
der Kritiklosigkeit dieser mai-
ländischen Schriftsteller kann
aber darauf kein sonderliches
Gewicht gelegt werden. Es
bleibt vielmehr nur die An-
nahme übrig, daß dem Gesuch
der beiden Bittsteller Folge
gegeben und das Leonardo-
sche Original ihnen zurück-
gegeben worden sei. In wes-
sen Hände es gelangt ist und
ob, wie eine Sage lautet, be-
reits Franz I. (oder sein Vor-
gänger) es nach Frankreich
habe schaffen lassen — was
übrigens durchaus wahr-
scheinlich ist, — wissen wir
nicht.2 Daß Preda seine Ko-
pie erst einige Zeit nach der
Vollendung des Originals aus-
geführt haben kann, geht aus
dem Umstände hervor, daß sie weit freier in der Behandlung ist als die im Jahre 1495 entstandene
Pala Sforzesca. Wir werden sie in die letzten Jahre des XV. Jahrhunderts setzen können, und zwar
Fig. 18. Jünglingskopf.
Paris, Louvre, Nr. 66.
1 1781 wird noch die vergoldete Ancona in einem Inventar als in S.Francesco befindlich erwähnt (Malaguzzi-Valeri
in der Rassegna d'Arte 1901, 110); 1787 war das Madonnenbild, das alle früheren Schriftsteller dort noch angeführt hatten,
nicht mehr in der Kirche (Bianconi, Guida di Milano); 1796 wurde es nach England verkauft.
2 Die Vermutung Strzygowskis (Das Werden des Barock, 1898, 20), das Bild (er meint damit freilich das Londoner
Exemplar, das aber, wie wir gesehen haben, seinen Platz in der Kirche S. Francesco, für die es gemalt wurde, nicht ver-
lassen hat) müsse «gerade um die Zeit des Eintritts Raphaels in Florenz neben den Schlachtkartons allgemein bewundert
worden sein», würde nur unter der Voraussetzung annehmbar sein, daß Leonardo das ihm überlassene Werk nach Florenz
mitgenommen habe, was doch wegen der Schwierigkeit des Transportes sehr wenig wahrscheinlich ist. Der Einfluß Leo-
nardos auf Raphael, den Strzygowski in des letzteren Madonna im Grünen, in derjenigen mit dem Stieglitz und in der Belle
Jardiniere nachweist, läßt sich wohl ungezwungener aus Leonardos Karton der heil. Anna selbdritt erklären, welcher kurz vor-
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chen, zu niedrig abgeschätzt worden sei, und bitten namentlich, daß ihnen das Madonnenbild, wovon
solches ganz besonders gelte, zurückgegeben werde («lasano ali dicti exponenti dicta nostra dona facta
a olio»), da sie Gelegenheit hätten, es anderwärts günstig zu verkaufen. Nun besteht das eigentümliche
Verhältnis, daß das Londoner Exemplar, das offenbar später entstanden ist als das Pariser, sich bis
gegen das Ende des XVIII. Jahrhunderts in derselben Kirche S. Francesco in Mailand, für die die Kom-
position ursprünglich bestellt worden war, in der Kapelle der Conception erhalten hat, während das
Pariser sich schon 1625 in Frankreich, im Schloß von Fontainebleau, nachweisen läßt.1 Daß das Lon-
doner Bild in Mailand allgemein für das Original Leonardos galt, geht aus den Erwähnungen der
Lokalschriftsteller, der Lo-
mazzo, Torre usw., hervor; fög.t &
ferner aus dem Umstände, daß
alle alten Kopien, mit Aus-
nahme der in der Ambro-
siana und einer bei Cheramy
in Paris, danach und nicht
nach dem Pariser Exemplar
angefertigt worden sind. Bei
der Kritiklosigkeit dieser mai-
ländischen Schriftsteller kann
aber darauf kein sonderliches
Gewicht gelegt werden. Es
bleibt vielmehr nur die An-
nahme übrig, daß dem Gesuch
der beiden Bittsteller Folge
gegeben und das Leonardo-
sche Original ihnen zurück-
gegeben worden sei. In wes-
sen Hände es gelangt ist und
ob, wie eine Sage lautet, be-
reits Franz I. (oder sein Vor-
gänger) es nach Frankreich
habe schaffen lassen — was
übrigens durchaus wahr-
scheinlich ist, — wissen wir
nicht.2 Daß Preda seine Ko-
pie erst einige Zeit nach der
Vollendung des Originals aus-
geführt haben kann, geht aus
dem Umstände hervor, daß sie weit freier in der Behandlung ist als die im Jahre 1495 entstandene
Pala Sforzesca. Wir werden sie in die letzten Jahre des XV. Jahrhunderts setzen können, und zwar
Fig. 18. Jünglingskopf.
Paris, Louvre, Nr. 66.
1 1781 wird noch die vergoldete Ancona in einem Inventar als in S.Francesco befindlich erwähnt (Malaguzzi-Valeri
in der Rassegna d'Arte 1901, 110); 1787 war das Madonnenbild, das alle früheren Schriftsteller dort noch angeführt hatten,
nicht mehr in der Kirche (Bianconi, Guida di Milano); 1796 wurde es nach England verkauft.
2 Die Vermutung Strzygowskis (Das Werden des Barock, 1898, 20), das Bild (er meint damit freilich das Londoner
Exemplar, das aber, wie wir gesehen haben, seinen Platz in der Kirche S. Francesco, für die es gemalt wurde, nicht ver-
lassen hat) müsse «gerade um die Zeit des Eintritts Raphaels in Florenz neben den Schlachtkartons allgemein bewundert
worden sein», würde nur unter der Voraussetzung annehmbar sein, daß Leonardo das ihm überlassene Werk nach Florenz
mitgenommen habe, was doch wegen der Schwierigkeit des Transportes sehr wenig wahrscheinlich ist. Der Einfluß Leo-
nardos auf Raphael, den Strzygowski in des letzteren Madonna im Grünen, in derjenigen mit dem Stieglitz und in der Belle
Jardiniere nachweist, läßt sich wohl ungezwungener aus Leonardos Karton der heil. Anna selbdritt erklären, welcher kurz vor-