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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 30.1911-1912

DOI Heft:
I. Teil: Abhandlungen
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Kristeller, Paul: Zwei dekorative Gemälde Mantegnas in der Wiener kaiserlichen Galerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.6177#0040
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3o

Paul Kristeller.

Fig. 2. Andrea Mantegna, Oberer Teil des Freskogemäldes: Die Taufe des Hermogenes.

Padua, Eremitanikirclic.

der Werke an die Stelle vager, phantastischer Vorstellungen tritt; wie die gewonnene Sicherheit in der
Formbehandlung gestattet, den Blick von der Betrachtung des Natureinzelnen auf die Gebilde der
literarisch angeregten Phantasie zu wenden, steigert sich der Einfluß der antiken Formen auf die Kunst-
übung. Die Antike, die zuerst wesentlich als Idee durch die literarische Uberlieferung gewirkt hatte,
beginnt erst gegen das Ende des XV. Jahrhunderts die Kunst auch durch ihre Formgestaltung in stärkerem
Maße zu beeinflussen. Nur ein Menschenalter früher hätte man Albrecht Dürer in Italien nicht den
Vorwurf gemacht, daß seine Bilder nicht «antikisch» seien. Das Quattrocento ist im Gegensatze zur
Hochrenaissance formell von der Antike so gut wie unabhängig. Wohl wird die Einbildungskraft der
Künstler durch die Vorstellungen, die man sich, wesentlich auf phantastischer Grundlage, von der Antike
gebildet hatte, befruchtet und erregt; für den Ausdruck der körperhaften Formen bleiben sie, zu ihrem
Glücke, auf die eigene Kraft der Naturbeobachtung angewiesen. Die Antikenverehrung wirkt im
frühen Quattrocento nur als eine geistige Unterströmung, die die Kunst von ihrer naturalistischen Haupt-
richtung nicht abzulenken imstande ist. Erst nach und nach wird sie, gegen Ende des XV. Jahrhunderts,
stark genug, an die Oberfläche zu steigen und die Richtung des Stromes zu verändern.

Hätte die Quattrocentokunst wirklich nichts gewollt und erreicht als eine wie auch immer abge-
wandelte Nachahmung der Antike, dann würde wahrlich die kraftstrotzende Kunst der Hochrenaissance
nicht aus ihr erwachsen sein. Dann wäre sie in der Tat des eingehenden, begeisterungsvollen Studiums,
das man ihr gewidmet hat, nicht wert. Es ist entmutigend, auch gegenüber Schriftstellern, die sich Gehör
zu verschaffen wissen, immer wieder energisch darauf hinweisen zu müssen, daß der Einfluß der Antike
im Quattrocento ein wesentlicher, bestimmender Faktor nicht gewesen ist. Was die frühere Quattro-
centokunst von der Antike unmittelbar entlehnt, beschränkt sich, abgesehen von einzelnen traditionellen
Gegenständen der Darstellung, fast ausschließlich auf Äußerlichkeiten, dekorative Muster, architekto-
nische Bilder, die als Hintergründe oder als Kulissen benutzt werden, auf Kostüme, Waffen und Geräte,
die den Darstellungen den Zeitcharakter geben sollen, also auf Akzessorien, die das Wesen der künstleri-
schen Formen direkt nicht berühren, so wenig wie Bühnenkünste das Wesen der schauspielerischen
Darstellung auf dem Theater. Vereinzelte Entlehnungen von Motiven aus antiken Werken, die die kunst-
geschichtliche Forschung stets mit übergroßem Eifer und mit fast kindlicher Freude aufzuweisen geliebt hat,
sind an sich für die Entwicklungsgeschichte der Form ziemlich bedeutungslos. In vielen Fällen werden
solche Ubereinstimmungen zwischen Antiken und Frührenaissancewerken noch dazu auf traditionelle
Überlieferung einzelner Elemente der künstlerischen Formensprache zurückzuführen sein. Nicola Pisano
darf jetzt wohl ohne Bedenken als ein aus dem Süden nach dem Norden entsandter Vertreter einer senilen
Kunsttradition, als eine vereinzelte, dem Norden fremdartige Erscheinung betrachtet werden. Die starke
Reaktion gegen seinen Stil in der Kunst seiner unmittelbaren Nachfolger ist der beste Beweis hierfür.

Erst spät im XV. Jahrhundert beginnt in der bildenden Kunst — in der Architektur naturgemäß
viel früher — die antike Form durch neugefundene, bedeutende, schnell berühmt werdende Werke auf
 
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