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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 30.1911-1912

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I. Teil: Abhandlungen
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Frizzoni, Gustavo: Ein bisher nicht erkanntes Werk Lorenzo Lottos in der kaiserlichen Gemäldegalerie
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https://doi.org/10.11588/diglit.6177#0059
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EIN BISHER NICHT ERKANNTES WERK LORENZO LOTTOS
IN DER KAISERLICHEN GEMÄLDEGALERIE.

Von

Gustavo Frizzoni.

er dürfte heutzutage, angesichts alles dessen, was die neuere Forschung enthüllt,
nicht zugeben, daß ein Meister wie Lorenzo Lotto auf dem Gebiete der venezia-
nischen Malerei des XVI. Jahrhunderts eine ganz eigentümliche Stellung ein-
nimmt? Mag er auch nicht in die Zahl der allergrößten und in Anbetracht des sehr
verschiedenen Wertes seiner Werke jedenfalls nicht in die der durchgehends
tadellosen Meister aufgenommen werden, so kann man doch behaupten, daß
sich kaum ein anderer finden ließe, der uns durch sein lebendiges, im höchsten
Maße persönliches Wesen auf ähnliche Weise wie er anzuziehen und zu interessieren wüßte. Infolge-
dessen haben die Kunstliebhaber nunmehr ihre Aufmerksamkeit mit besonderem Eifer auf den genialen
Mann gerichtet und ist seine Entwicklung immer eingehender erforscht worden. Dadurch hat sich
nun herausgestellt, welch unglaublich merkwürdiger Umschwung seiner Art und Weise sich im Laufe
der Jahre aus seinen Schöpfungen ergibt. Hätten sich in der Tat nicht neuerdings bestimmte Zeugnisse
gefunden über gewisse Leistungen, die auf seine allerersten Versuche in der Kunst zurückzuführen sind,
so würden auch die besten Kenner kaum zugeben, daß sie demselben Urheber angehören, der später in
den verschiedenen Perioden seines langen Lebenslaufes so Grundverschiedenes hervorgebracht hat.

Ahnliches läßt sich ja auch von einem fast um zehn Jahre jüngeren Künstler allerersten Ranges,
von Correggio, behaupten, der sich in seinen frühesten Werken, wie in jenen der Sammlungen Crespi,
Benson, v. Reisinger, fast möchte man sagen, als ferraresischer Purist — freilich mit ganz eigenen male-
rischen Anlagen — zeigt, während er nach Erreichung seiner völligen Selbständigkeit als der freieste
aller Zeitgenossen, ja geradezu als Vorläufer der über ein halbes Jahrhundert später blühenden Carraccis
auftritt.

Es ist nicht unsere Sache, hier zu entscheiden, ob gewisse Ähnlichkeiten in den künstlerischen
Äußerungen der beiden Männer eher auf Übereinstimmung der Gemüter als auf wechselseitige Beein-
flussung zurückzuführen seien. Soviel wird aber wohl ohne weiteres angesichts ihrer gesamten Tätigkeit
zugegeben werden, daß beide von Natur aus mit einer wunderbaren Entwicklungsfähigkeit ausgestattet
waren.

Ein bedeutender Unterschied in ihrem Leben ergibt sich natürlich aus dem Umstand, daß der
Venezianer fast das doppelte Alter seines Fachgenossen erreichte, woraus sich auch erklärt, warum von
jenem bedeutend mehr, teils noch vorhandene, teils verschollene Werke aufgezählt werden. Erwägt man
demnach den großen Abstand, der zwischen dem Anfang und dem Ende von Lottos Wirken wahrzu-
nehmen ist, so kann daraus geradezu eine zusammenfassende Anschauung gewonnen werden über die
Entwicklung der Malerei im Laufe eines so bedeutenden und fruchtbaren Zeitraumes, wie jener ist, der
sich vom Anfang des XVI. Jahrhunderts bis über seine Mitte hinaus erstreckt.

Zunächst als echter Nachfolger Vivarinis und Beilinis zwischen den Einflüssen von Venedig und
Treviso schwankend, entwickelt Lotto in wenigen Jahren mit fortschreitender Steigerung seine eigene
dramatische Auffassungsweise, die ihn unter all seinen Landsleuten als am meisten mit leidenschaftlichen
Eigenschaften begabt auszeichnet.
 
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