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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 30.1911-1912

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I. Teil: Abhandlungen
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Reicke, Emil: Die Deutung eines Bildnisses von Brosamer in der kaiserlichen Gemäldegalerie in Wien: nebst Beiträgen zur Dürer- und Pirckheimer-Forschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6177#0245
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Die Deutung eines Bildnisses von Brosamer in der kais. Gemäldegalerie in Wien.

229

Besatz auf den Ärmeln tiefschwarz, das Pelzwerk braun. Der Kopf ist mit einem schwarzen Barett be-
deckt, das die Haare über der Stirn und an den Schläfen frei läßt, die, ein besonderes Charakteristi-
kum unseres Bildes, rotblond und sehr fein und zierlich gekräuselt sind, so daß sie den Eindruck einer
Perücke machen, zumal wenn wir das von ihnen eingerahmte, doch schon ziemlich ältliche Gesicht be-
trachten. Dieses ist im übrigen voll, von blühender Gesichtsfarbe, aber mit vielen Falten auf der Stirn,
um die Augen, an den Wangen sowie auch am Kinn, wo sie eine Art Troller bilden. Der Mund, an-
scheinend nicht gut gezeichnet, mit fest geschlossenen Lippen, die etwas eingesattelte Nase, die ziem-
lich tiefliegenden, von starken Augenbrauenbogen überschatteten Augen sind im übrigen, wie es in den
Steckbriefen zu heißen pflegt, gewöhnlich, womit also hier kein Werturteil abgegeben sein soll. Denn
der Ausdruck des Gesichtes zeugt, wenn er auch kein hervorragend geistreicher ist, doch auch nicht von
geistiger Minderwertigkeit und zumal die grauen Augen blicken ganz verständig, zugleich freilich
auch etwas wehmütig in die Welt, wie denn dem Gesamtausdruck überhaupt etwas Leidendes und
Ängstliches, an fromme Scheu Gemahnendes eignet. Damit harmoniert der Umstand, daß die dar-
gestellte Person in den Händen einen Rosenkranz hält. Dieser besteht in der Hauptsache aus schwarzen
Steinen, untermengt mit einigen goldfarbenen Gliedern. Eine Stelle für sich nimmt eine mit vielen
Schlitzen versehene runde Kapsel1 ein, die der Mann zwischen den beiden Daumen hält, unterstützt von
dem Zeigefinger der rechten und vielleicht auch der linken Hand. Eben an diesem Zeigefinger befindet
sich deutlich sichtbar ein Wappenring, der in schwarz-goldenem Felde einen weißen Baum auf golde-
nem Dreiberg zeigt. An den Kanten des Steines, namentlich in dem oberen Felde, wird etwas Rot
sichtbar.

Dieser Mann also sollte Willibald Pirckheimer sein. Das Wappen schien zu stimmen, zumal wenn
man die erst bei näherer Betrachtung deutlich wahrnehmbaren Farben nicht genauer prüfte. Nun haben
wir aber von dem Aussehen des berühmten Nürnbergers für gewöhnlich eine ganz andere Vorstellung.
Diese Vorstellung geht auf das bekannte in Kupfer gestochene Bildnis von Dürer (Bartsch 106, Heller 1076:
Fig. 1) zurück, das man wohl zu den populärsten Köpfen der deutschen Renaissanceperiode zählen darf.
Dürer hat seinen Freund — denn das war ihm Pirckheimer, beide Männer lebten bekanntlich im ver-
trautesten Umgang miteinander — 1524 im 53sten Jahre seines Lebens verewigt. Welch grandioses
Haupt, das uns hier aus dem kurzgedrungenen Halse, aufgebaut auf einem gewaltigen Stiernacken, den wir
zwar nicht sehen, aber ahnen, in machtvoller Größe entgegentritt. Auch hier ist der Gesichtsausdruck ein
leidender, gewiß. War doch Pirckheimer am Beginn des fünften Jahrzehnts seines Lebens von der Aller-
weltskrankheit jener Tage, dem Podagra, schmerzlich befallen worden. Aber ein so starker Geist läßt
sich von dem gebrechlichen Körper nicht unterkriegen. Das sehen wir an dem festgekniffenen Munde,
dem energisch vorspringenden Kinn, den mächtigen Stirnwulsten, vor allem an den mit unbeirrbarem
Trotz, schier unbeweglich, fast stiermäßig blickenden, aber doch von einem tiefen innerlichen Feuer
belebten, weit vorgewölbten Augen. Welch ein Abstand von jenem im Vergleich damit fast weinerlich-
kläglichen Gesichtsausdruck des Mannes auf dem zuerst beschriebenen Bilde. Man braucht dabei gar
nicht einmal auf die so völlig verschiedene Haartracht hinzuweisen: Auf dem Dürerschen Stiche ein in
natürlichen Locken sich ringelndes, künstlerisch genial herabfallendes Haar, auf unserem Ölbild ein
Haartoupet, vom Friseur mit dem Brenneisen sorgsam mühevoll hergestellt, mit dem Stempel des Un-
echten deutlich behaftet, für einen Mann fast beschämend kleinlich und weibisch. Auch der Rosenkranz
will in die Hand des für Plato und Lucian begeisterten Humanisten, des wenigstens längere Zeit hin-
durch ausgesprochenen Anhängers der lutherischen Bewegung so gar nicht passen. Man sieht, es sind
der Gründe genug, an der Identität des auf dem Ölbild der Stadtbibliothek dargestellten Mannes mit
einem Willibald Pirckheimer zu zweifeln. Der Siegelring mit dem Wappen der 1530 mit Willibald aus-
gestorbenen, bereits lange zu seinen Lebzeiten nur auf ihm als dem einzigen legitimen männlichen Ver-
treter beruhenden Patrizierfamilie der Pirckheimer konnte ja wohl auf irgendeine Weise an einen andern
Mann, vielleicht einen seiner Schwiegersöhne, gekommen sein; vielleicht war es auch gar nicht das Pirck-

1 Über ihre Bedeutung s. später, S. 247, Anm. 4.
 
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