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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

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I. Teil: Abhandlungen
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Kuhn, Alfred: Die Illustration des Rosenromans
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https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0056
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48

Alfred Kuhn.

Figuren recht wenig glücklich den üblichen Pariser Stil vom letzten Drittel des XIV. Jahrhunderts
repräsentiert, zeigt der Rest der Miniaturen der Handschrift jene schönen naturalistischen Bilder, die
uns in den Niederlanden etwa 3o Jahre später entgegentreten. Die Teppichgründe1 sind da natürlich
weggefallen und haben landschaftlichen Hintergründen Platz gemacht. In mehr oder minder gut per-
spektivisch aufgefaßten Räumen stehen die pausbäckigen Burschen und Mädels, die mit dem spitz-
bärtigen Pariser Hofmann der Schauseite stark kontrastieren. Im Gegensatze zu seiner kurzen, ge-
gürteten, hellblauen Cotte und den roten und weißen Beinkleidern tragen sie bis zu den Füßen gehende
Houppelanden, reich mit Gold gehöht. Da es ausgeschlossen ist, daß die Miniaturen des Textes später
entstanden sind als die Schauseite, so haben wir hier den interessanten Fall, wie ein zurückgebliebener
Pariser Ateliermeister sich die Ehre der Illumination der Schauseite nicht hat nehmen lassen wollen
und dem jungen, mit allen Mitteln moderner Kunst ausgestatteten, zugewanderten Niederländer nur
den zweiten Platz anwies. Was das Darstellerische der Schauseite anlangt, so zeigt sie Zusammenhänge
mit Gruppe V, indem in Bild II und III jeweils zwei Vorgänge in kontinuierender Darstellungsweise
nebeneinander erzählt werden.

Im Gegensatz zu Gruppe V hat die vorstehende sichere Resultate ergeben. Fassen wir
sie nochmals zusammen: Am Ende der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts stößt man in
Paris auf ein auf nordfranzösischer Basis ruhendes großes Atelier, das unter Benützung
älterer Elemente einen neuen Handschriftentypus schafft und ihn mit kleinen Varianten
etwa 70 Jahre lang reproduziert. Seine Beliebtheit scheint sehr groß gewesen zu sein.
Spricht man heute von einer Rosenroman-Handschrift, so denkt man unwillkürlich an
ihn. Die hier aufgeführten 20 Exemplare erschöpfen denn auch die Zahl der uns noch er-
haltenen bei weitem nicht.

Zu Anfang des letzten Drittels des Jahrhunderts verliert das Atelier seinen nord-
französischen Charakter und zeitigt unter dem Einflüsse jener aus Pucellescher Tradi-
tion und einigen modern-niederländischen Einschlägen emporblühenden Kunst «Char-
les V» schöne Produkte echt Pariser Geschmackes. Ein Neuerer ist das Atelier nie
gewesen, aber es hat durch sorgfältige Arbeit an Umrahmung und Mustergründen zu er-
setzen versucht, was die Miniaturen an Originalität zu wünschen übrigließen. Es hat
sein Publikum gut verstanden.2

Im Anschluß an diese Gruppe müssen noch fünf Handschriften erwähnt werden, die nicht vier
Phasen des Spaziergangs wie dort, sondern nur deren zwei, ebenfalls in distinguierender Darstellungs-
weise, erzählen. So stellt eine schlechte Pariser Handschrift aus der ersten Hälfte des XIV. Jahrhunderts,
Mazarine Ms. 3874, links den Liebenden in seinem Bette dar und auf einer zweiten Miniatur daneben
seinen Spaziergang durch die Natur. Bibl. Nat. fr. 805, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Paris
entstanden,3 hält es ebenso und läßt nur an Stelle des Spazierganges die Toilette vor dem Waschgefäß
treten. Oxford Ms. e Mus. 65 aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts kehrt wieder zur ersten Ver-
sion zurück. Dasselbe tun die beiden schönen flämischen Handschriften vom Anfang des XV. Jahrhun-
derts, Stuttgart, Cod. Poet. 6 Folio (Fig. 3i) und Brüssel, kgl. Bibl. 18017, wovon diese als Weiter-
bildung jener angesprochen werden kann und überhaupt mancherlei Verwandtes in den Illustrationen
aufweist. Das Stuttgarter Exemplar enthält 28 hübsche Miniaturen von zum Teil recht origineller Aus-
führung. Mustergründe wechseln mit Landschaftlichem. Eine muntere Note tragen einige Häslein in
das zweite Bild der Schauseite. Durch das Erscheinen des von einem Windspiel begleiteten Jünglings
aufgeschreckt, stürzen sie davon oder verstecken sich in Erdlöchern. Solche Hasenszenen gelten manch-

1 Bild I und II der Schauseite hatten Goldgründe.

1 Ist es doch überaus charakteristisch, daß sich auch das Handschriften kaufende Publikum unserer Tage meist aus-
schließlich durch sauber ausgeführte Umrahmung und Initialen leiten läßt und kaum die fabrikmäßige, platte Art der Minia-
turen gewahrt.

3 Die übrigen 17 Miniaturen der Handschrift sind kolorierte Federzeichnungen von bedeutend fortgeschrittencrem Stil-
charakter. Es liegt ein ähnlicher Fall vor wie bei Bibl. Nat. fr. 24392.
 
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