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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 31.1913-1914

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I. Teil: Abhandlungen
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Stix, Alfred: Tizians Diana und Kallisto in der kaiserlichen Gemäldegalerie in Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.6178#0366
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346

Alfred Stix. Diana und Kallisto in der kaiserlichen Gemäldegalerie in Wien.

grauen Tone mit einem leichten Stich ins Lila und die blaßrote Masche noch etwas von der ursprüng-
lichen Delikatesse der Farbenzusammenstellung erkennen. Auch das gelbe Gewand der Nymphe links,
das schleierartige Hemd der Kallisto und der Schleier der Diana sind, wenn auch leicht verrieben, doch
noch original. Am wenigsten gelitten haben die stark pastos aufgesetzten Farbenteile: Das Haar und
der Schmuck der Diana, der Oberkörper der Brunnenfigur, die Wasserstrahlen, ein Teil der Schale, das
plätschernde Wasser unten, Teile des Gewölkes, die im hellen Licht befindlichen Teile des Vorhanges,
die kleine, aber reizend ausgeführte Partie mit der Schnauze des Schoßhündchens. Nur an diese Stellen
kann eine Kritik der Malweise anknüpfen, nicht aber an die abgeriebenen Aktpartien, die allerdings in
der Formgebung, wie behauptet wird, unter Tizians Qualität stehen, aber deshalb, weil die letzte Voll-
endung durch Lasuren fehlt und so die Formen mehr trocken und hart wirken. Man kann bei dem Fehlen
des größten Teiles der Oberfläche schwer subtile Formvergleichungen durchführen. Doch stimmen
beispielsweise die Falten bei dem Hemde der Kallisto und dem Schleier der Diana sehr überein mit
denen des Tuches, das auf dem Aktäon-Bilde die Göttin in ihrer Hand hält, oder dem weißen Sargtuche
auf der Grablegung in Madrid. Beide sind zeitlich in unmittelbarer Nähe unseres Bildes entstanden.
Die Faltengrate sind durch weise Lichtlinien markiert, brüchig und sehen oft so aus, als ob der Stoff
mit spitzen Fingern leicht gehoben wurde. Man kann als Gegenprobe die entsprechenden Teile auf der
Wiener Pietä vergleichen, die, obwohl bezeichnet, doch Tizians Hand nicht zeigt.

Größeren Wert noch lege ich auf die Konstatierung, daß gerade die früher erwähnten pastosen
Stellen mit einer Meisterschaft behandelt sind, die mir eine andere als Tizians Hand auszuschliessen
scheint. Hier sitzt jeder Pinselstrich, ob es sich um die Drücker in den Wolken handelt, die mit Hilfe
der Hand hergestellt sind, oder um Schmuck und Haar der Göttin oder um das Wasser. Uberall ist mit
der größten Ökonomie der Mittel die größte Wirkung erzielt.

Ich weiß wohl, daß ich mich hier auf dem höchst verpönten Boden eines Qualitätsbeweises be-
wege. Da aber die Fragestellung so einfach ist: war Tizian der Maler oder einer der mittelmäßigen
Gehülfen seiner Werkstatt, so glaube ich mit gutem Gewissen dieser Erwägung eine entscheidende Be-
deutung einräumen zu dürfen.

Crowe und Cavalcaselle haben die Vermutung ausgesprochen, daß Schiavone die Bäume gemalt
habe.1 Es ist nicht sicher, ob dieser Maler in Tizians Werkstatt beschäftigt war; aber soviel scheint mir
sicher zu sein, daß er an malerischer Qualität allen dort Beschäftigten überlegen war. Von Schiavone
besitzt die kaiserliche Galerie eine verkleinerte und abgekürzte Kopie des Schwesterbildes der Kallisto:
Diana und Aktäon.2 Es gibt vielleicht nichts lehrreicheres für unsere Frage, als die beiden Wiener
Bilder zusammenzustellen und sich dann des Qualitätsunterschiedes bewußt zu werden.

Es bliebe nach dieser Feststellung noch immer möglich, einen Anteil der Werkstatt anzunehmen.
Der Erhaltungszustand des Bildes verhindert uns, darüber eine präzise Meinung auszusprechen. Daß
dieser kein umfangreicher war, zeigt wohl die Tatsache, daß bei der schließlichen Ausführung der Meister
noch Verbesserungen gegenüber der (gestochenen) Studie anbrachte, die beweisen, daß er im wesent-
lichen die Arbeit selbst in der Hand hatte. Auch erstrecken sich die Spuren seines Pinsels auf fast alle
Teile der Leinwand.

Für Tizian spricht vielleicht auch noch der Umstand, daß das Bild trotz aller Mißhandlungen
noch heute einen bedeutenden Reiz ausübt. Sein übler Zustand vermag den Zauber von Tizians Er-
findung und Kolorit zwar zu verdunkeln, nicht aber ihn völlig aufzuheben.

1 A. a. O. II, S. 597, 598.

2 Abgebildet bei L. Fröhlich-Bum, Andrea Meldolla genannt Schiavone: Jahrbuch XXXI, S. 186.
 
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