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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 32.1915

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Giehlow, Karl; Weixlgärtner, Arpad: Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance: besonders der Ehrenpforte Kaisers Maximilian I. Ein Versuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.6174#0160

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154 Karl Giehlow.

Pausanias die Deutung der Schildkröte den berufenen Kennern.1 Mit welcher Genugthuung wird sich
hier Alciat der obigen Stelle im Tractat de Iside et Osiride erinnert haben!

Wie dies seine hieroglyphische Kunstauffassung nährte, so gab ihm die Beschreibung von Polygnot's
Gemälde in der Lesche zu Delphi neue Anregungen, historische oder mythische Stoffe seinen Emblemata
zu Grunde zu legen. Besonders interessierte ihn die Schilderung eines Mannes auf der Wandfläche,
welche Odysseus' Besuch in der Unterwelt enthielt. Polygnot hatte ihn sitzend gemalt, wie er einen
Strick aus Schilf flicht, den eine neben ihm stehende Eselin sogleich aufzehrt. Die Gestalt war mit dem
Namen Oknos bezeichnet und galt als das Bild eines fleissigen Ehemannes, dem eine verschwenderische
Frau zugesellt ist, während Pausanias sich mehr dazu neigt, gemäss dem Sprichwort »das Seil des Oknos
flechten» darin das Sinnbild eines > fruchtlosen Bemühens« zu erblicken.2 Andrea variierte aber die erste
Deutung dieses »profunden Symbols*, indem er den Titel »de his, qui meretricibus donant, quod in
bonos usus verti debeat,« seinen darüber gedichteten Versen gab.

Ob ihn dazu die Kenntniss einer in Rom vorhandenen Sculptur mit derselben Darstellung ge-
bracht hat, auf der sich die Inschrift »O nefas parentis« befand?3 Alciat war sicherlich durch seine
römischen Freunde über die dortigen Alterthümer gut unterrichtet. Auch die von Alciat als Vorbild für
ein »fidei symbolum« beschriebenen Figuren gehen in ihrer Anordnung auf ein antikes Relief zurück,
das die Gestalten des »honor« und der »verkäs« sich die Hände reichend vor dem in der Mitte befind-
lichen >amor< darstellte. Mazochi hat ein solches in seinem 152 1 gedruckten Inscriptionenwerk abge-
bildet, das diese Allegorie in Halbfiguren mit den sie erläuternden Beischriften enthält; nur ist die
Wahrheit bekleidet, nicht nackt, wie sie Alciat beschreibt.4 Es wird diese Abweichung dem Wunsche
entsprungen sein, die Wahrheit als solche erkenntlich zu machen, wie auch für die beiden anderen Per-
sonen ein Rosenkranz und eine purpurne Gewandung zur näheren Charakteristik dienen.5 Wenn also
Alciat um dieselbe Zeit Calvi gegenüber die »historia« als zweite Quelle für seine Emblemata bezeich-
nete, so fasste er dieses Wort auch in der erweiterten Bedeutung auf, die ihm bereits Alberti beigelegt
hatte, als eine mythologisch-allegorische Darstellung, und dachte dabei wohl vor allem an das in den
Werken Poliziano's, Crinito's, Plutarch's und Pausanias7 sowie in den griechischen Epigrammen ent-
haltene Material.

Ueberblickt man den eben geschilderten Verlauf der hieroglyphischen Studien des jungen Rechts-
gelehrten in Mailand, so lässt in der That die gleichzeitig damit verbundene Pflege der Poesie wohl
keinen Zweifel darüber, dass Alciati damals als emblematischer Dichter besonders fruchtbar war. Die
meisten Epigramme, welche sich in der Steyner'schen Ausgabe als abhängig von der Anthologie er-
weisen, sind sicherlich, wenn sie nicht, bereits früher gedichtet, die emblematische Bestimmung beigelegt

1 Vgl. Amaseo's Uebersetzung in der Ausgabe von llauaavioj xfj; 'E).).a&o; TTECi^y/;^; (Frankfurt 158S), tom. II, p. T73:
»quae . . . testudinis . . . ratio sit, quibus haec perscrutari curae est, quaerendum relinquo*.

2 Vgl. Pausanias, a. a. O., p. 292: »eam rem credunt per ambages voluisse Polygnotum significare. Satis scio Ionum
verbünd esse, quoties hominem viderint ad laborem quidem vehementer propensum, sed cui nulli emolumento labor sit. Vir
iste, inquiunt, Ocni funiculum torquet.« Auch einen Goethe interessierte diese Stelle besonders; vgl. den Aufsatz der Weimarer
Kunstfreunde über Polygnot's Gemälde (Hempel'sche Ausgabe, Theil 28, S. 263 ff.).

3 Eine Abbildung befindet sich in den von Petrus Apianus und Bartholomaeus Amantius 1534 zu Ingolstadt veröffent-
lichten »Inscriptiones sacrosanctae vetustatis«, vgl. p. CCIX. Das Original wurde zu Rom »in claustro d. Simpliciani Colun-
nacii« aufbewahrt. Mazochi in seinen »epigrammata« — vgl. oben, S. 62, — erwähnt es nicht. Trotzdem kamen Nachrichten
und Abbildungen in die Hände der deutschen Gelehrten, deren Sammlungen Apian die Inschriften entlehnte; darunter nennt
er besonders die Peutinger's und Pirkheimer's. El wäre keineswegs unmöglich, dass Mazochi diese Sculptur übersehen hätte.

4 Vgl. Mazochi, a. a. O., p. CXXIIT, und darüber Thuilius, a. a. O., p. 57.
3 Vgl. Alciati, Emblemata (1531), p. E7.

»Stet depictus honor tyrio velatus amictu, Rosa it, Dyones pulchrior cupidine.

Ejusque jungat nuda dextram veritas. Constituunt haec signa fidem, reverentia honoris

Sitque amor in medio castus, cui tcmpora circum Quam fovet, alit amor parturitque veritas.«
Der Künstler hat trotzdem den »honor« weiblich abgebildet, so dass der Holzschnitt allein für sich betrachtet eine gleiche
Zusammenstellung von Personen enthält wie Tiziän's sogenannte »himmlische und irdische Liebe«. Erwägt man die Wand-
lungen, welche die Abbildung Mazochi's beim Dichter und Künstler durchmachte, so mag auch dem berühmten Bilde eine
durch Dichtung veränderte Nachricht von einer klassischen Sculptur oder eine solche selbst, vom Maler frei aufgefasst, zu
Grunde liegen. Ueber die Bedeutung der Symbole im Hintergrunde des Gemäldes vgl. oben, S. 115.
 
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